IPRax-Heft 2010,1
Neueste Informationen Heft 2010,1
Stockholmer Programm der Europäischen Union
Das Stockholmer Programm wurde beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union am 10./11.12.2009 verabschiedet. Es enthält die Richtlinien einer gemeinsamen Politik und umfasst auch die Bereiche Justiz und Inneres. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennungen von Entscheidungen wird darin erneut bekräftigt; das Vorhaben, das Exequaturverfahren abzuschaffen, wird weiter verfolgt. Das Programm ist abrufbar unter: http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/de/ec/111898.pdf.
Europäisches Gemeinschaftspatent und Europäisches Patentgericht
Der Ministerrat in Brüssel hat am 4.12.2009 den Vorschlag einer neuen Verordnung über das Gemeinschaftspatent gebilligt. Auch sprachen sich die Minister dafür aus, ein einheitliches europäisches Patentgericht zu schaffen.
ErbRVO: Fehlerhafte Übersetzung von Erwägungsgrund 24
Anders als nach der französischen und englischen Sprachfassung des Vorschlags der EU-ErbrechtsVO (s. zum Vorschlag Kindler, IPRax 2010, 44 ff. (in diesem Heft)) soll gemäß Erwägungsgrund 24 in der deutschen Sprachfassung die EU-Grundrechtecharta Maßstab für den ordre public-Vorbehalt sein. Auf der Grundlage der französischen Fassung müsste Erwägungsgrund 24 jedoch in deutscher Übersetzung korrekt lauten: „Aus Gründen des öffentlichen Interesses sollte den Gerichten der Mitgliedstaaten im Ausnahmenfall die Möglichkeit gegeben werden, die Anwendung ausländischen Rechts in einer bestimmten Sache zu versagen, wenn seine Anwendung mit der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Staates des angerufenen Gerichts unvereinbar wäre. Die Gerichte sollten allerdings nicht die Möglichkeit haben, die Anwendung des Rechts eines anderen Mitgliedstaats oder die Anerkennung oder die Vollstreckung einer Entscheidung, einer öffentlichen Urkunde, eines gerichtlichen Vergleichs oder eines Europäischen Nachlasszeugnisses aus einem anderen Mitgliedstaat auf der Grundlage dieses ordre-public-Vorbehalts zu versagen, wenn dies gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, insbesondere gegen das Diskriminierungsverbot in Artikel 21, verstoßen würde.“ (mitgeteilt von Dr. Markus Buschbaum, LL.M. (Köln/Paris), Bundesnotarkammer, Brüssel)
Berichtigung Rom I-VO
Der Europäische Rat hat am 19.10.2009 Art. 28 der Rom I-VO in allen Sprachfassungen dahingehend berichtigt, dass die Verordnung nicht mehr erst auf Verträge anwendbar ist, die nach dem 17.12.2009 geschlossen werden, sondern bereits auf Verträge, die ab diesem Tag zustande kommen. Hierdurch besteht nun Rechtsklarheit hinsichtlich des anwendbaren Rechts auf Verträge, die am 17.12.2009 geschlossen wurden.
Rom I-VO und englisches Recht
In England sind zwei Vorschriften zur Implementierung der Rom I-VO verkündet worden: Die „Law Applicable to Contractual Obligations (England and Wales and Northern Ireland) Regulations“ (S.I. 2009 No. 3064), die den „Contracts (Applicable) Law Act 1990“ und Regelungen zur Verjährungsfristen abändert, sowie den Anwendungsbereich der Rom I-VO auf Gibraltar ausweitet und die „Financial Services and Markets Act 2000 (Law Applicable to Contracts of Insurance) Regulations” (S.I. 2009 No. 3075), die sich mit Versicherungsverträgen (Art. 7 Rom I-VO) beschäftigt.
Rom I-VO und österreichisches Recht
Am 18.11.2009 traten die folgenden Vorschriften in Kraft (öst. BGBl. I Nr. 109/2009):
§ 35 IPRG Vertragliche Schuldverhältnisse
(1) Vertragliche Schuldverhältnisse, die nicht in den Anwendungsbereich der Rom I-VO fallen, sind nach dem Recht zu beurteilen, das die Parteien ausdrücklich oder schlüssig bestimmen (§ 11).
(2) Ist für ein solches Schuldverhältnis eine Rechtswahl nicht wirksam getroffen, so ist es nach dem Recht des Staates zu beurteilen, in dem diejenige Partei ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, die die für den Vertrag charakteristische Leistung zu erbringen hat. Schließt diese Partei den Vertrag als Unternehmer, so ist statt des gewöhnlichen Aufenthalts die Niederlassung maßgebend, in deren Rahmen der Vertrag geschlossen wird.
(3) Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass das vertragliche Schuldverhältnis eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen als dem nach Abs. 2 bestimmten Staat aufweist, so ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden.
§ 35a IPRG Erweiterte Rechtswahl für bestimmte Versicherungsverträge
(1) Die Parteien eines Versicherungsvertrages, für den Art. 7 Abs. 3 der Rom I-VO Rechtswahlmöglichkeiten eröffnet, können in den Fällen des Art. 7 Abs. 3 lit. a, b und e der Verordnung jedes andere Recht ausdrücklich oder schlüssig bestimmen.
(2) Übt der Versicherer seine Tätigkeit in dem Staat aus, in dem der Versicherungsnehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder richtet er seine Tätigkeit auf irgend eine Weise auf diesen Staat oder auf mehrere Staaten einschließlich dieses Staates aus, so darf die Rechtswahl nach Abs. 1 nicht dazu führen, dass dem Versicherungsnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch diejenigen Bestimmungen gewährt wird, von denen nach dem Recht, das mangels Rechtswahl anzuwenden wäre, nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf.
§ 48 IPRG Außervertragliche Schadenersatzansprüche
(1) Außervertragliche Schadenersatzansprüche, die nicht in den Anwendungsbereich der Rom II-VO fallen, sind nach dem Recht zu beurteilen, das die Parteien ausdrücklich oder schlüssig bestimmen (§ 11).
(2) Ist für ein solches Schuldverhältnis eine Rechtswahl nicht wirksam getroffen, so ist es nach dem Recht des Staates zu beurteilen, in dem das den Schaden verursachende Verhalten gesetzt worden ist. Besteht für die Beteiligten jedoch eine stärkere Beziehung zum Recht ein und desselben Staates, so ist dieses Recht maßgebend.
Niederlande: Vorschlag eines neuen IPR-Gesetzes
Bei der Zweiten Kammer des niederländischen Parlaments wurde der Vorschlag einer Neukodifikation des Internationalen Privatrechts eingebracht, der als Buch 10 in das Zivilgesetzbuch der Niederlande (Burgerlijk Wetboek) aufgenommen werden soll (Vaststellings- en Invoeringswet Boek 10 Burgerlijk Wetboek, Tweede Kamerstuk 2009-2010, 32137). Der von langer Hand vorbereitete Gesetzentwurf plant die Einzelgesetze, die das niederländische Internationale Privatrecht zur Zeit lediglich in Teilbereichen regeln, zu vereinheitlichen und zu systematisieren. Der Vorschlag nimmt mit wenigen Ergänzungen die bestehenden kollisionsrechtlichen Regelungen auf den Gebieten des Familien- und Personenrechts, des Deliktsrechts, des Erbrechts usw. auf. Für vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse erweitert der Vorschlag die Anwendbarkeit der Verordnungen „Rom I“ und „Rom II“ zudem auf solche Schuldverhältnisse, die nicht in den Anwendungsbereich der Verordnungen fallen, jedoch gleichfalls als vertraglich bzw. deliktisch zu qualifizieren sind (vgl. Art. 154 und 159 des Entwurfes). Neu eingeführt werden einleitende allgemeine Bestimmungen (Art. 1–17 des Entwurfes). Die betreffenden Regelungen beziehen sich unter anderem auf die Vorfragenanknüpfung, den Renvoi, den ordre public, die Parteiautonomie, die Geschäftsfähigkeit und die Form von Rechtsgeschäften. Nicht in das Vaststellings- en Invoeringswet Boek 10 Burgerlijk Wetboek aufgenommen werden sollen hingegen Bestimmungen, die dem Internationalen Zivilprozessrecht zuzurechnen sind. Insofern bleibt es bei der bisherigen Rechtslage. Der Gesetzesvorschlag hat den ständigen Justizausschuss passiert. Mit Datum vom 6.11.2009 legte dieser eine Reihe von Fragen und Anmerkungen vor, erklärte unter der Voraussetzung zufriedenstellender Beantwortung jedoch grundsätzlich sein Einverständnis (Tweede Kamerstuk 2009-2010, 32137, Nr. 5).
Neue Vorlageberechtigung nach Vertrag von Lissabon: Art. 267 AEUV
EuGH 20.11.2009 – Rs. C-278/09 – Oliver Martinez, Robert Martinez ./. MGN Ltd.
Art. 267 AEUV gilt seit dem 1.12.2009 und ersetzt die Art. 68, 234 EG. Auf Art. 267 AEUV, der die Vorlageberechtigung gegenüber Art. 68 EG weiter fasst, kann keine vor dem 1.12.2009 bei dem EuGH eingereichte Vorlage gestützt werden.
Grenzüberschreitende Wirkung von atomrechtlichen Genehmigungen
EuGH 27.10.2009 – Rs. C-115/08 – Land Oberösterreich ./. ?EZ as
Das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Anwendungsbereich des EAG-Vertrags steht der Anwendung von Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie den im Ausgangsverfahren fraglichen entgegen, nach denen ein Unternehmen, das über die erforderlichen Genehmigungen für den Betrieb eines Kernkraftwerks in einem anderen Mitgliedstaat verfügt, im Hinblick auf die von dieser Anlage ausgehenden schädlichen Einwirkungen oder die Gefahr schädlicher Einwirkungen auf benachbarte Grundstücke auf Unterlassung verklagt werden kann, während Unternehmen mit einer industriellen Anlage im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats des Gerichtsstands, für die dort eine behördliche Genehmigung erteilt wurde, nicht mit einer solchen Klage belangt und nur auf Zahlung von Schadensersatz für die Beeinträchtigung eines benachbarten Grundstücks gerichtlich in Anspruch genommen werden können.
Das nationale Gericht muss das innerstaatliche Recht, das es anzuwenden hat, so weit wie möglich in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts auslegen. Wenn eine solche konforme Anwendung nicht möglich ist, ist das nationale Gericht verpflichtet, das Gemeinschaftsrecht in vollem Umfang anzuwenden und die Rechte, die dieses dem Einzelnen einräumt, zu schützen, indem es notfalls jede Bestimmung unangewandt lässt, deren Anwendung im konkreten Fall zu einem gemeinschaftsrechtswidrigen Ergebnis führen würde (s. dazu Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2010, 24 (in diesem Heft)).
Klauselkontrolle von Schiedsabreden
EuGH 6.10.2009 – Rs. C-40/08 – Asturcom Telecomunicaciones SL ./. Cristina Rodríguez Nogueira
Die Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Antrag auf Zwangsvollstreckung aus einem in Abwesenheit des Verbrauchers ergangenen rechtskräftigen Schiedsspruch anhängig ist, verpflichtet ist, die Missbräuchlichkeit der Schiedsklausel von Amts wegen zu prüfen, sobald es über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt, wenn es nach den Bestimmungen seines nationalen Verfahrensrechts eine solche Beurteilung im Rahmen vergleichbarer Anträge nationaler Art vornehmen kann. Ist dies der Fall, so obliegt es diesem Gericht, alle Konsequenzen zu ziehen, die sich daraus nach nationalem Recht ergeben, um sich zu vergewissern, dass diese Klausel für den Verbraucher unverbindlich ist.
Kollisionsrechtliche Bedeutung der e-commerce-Richtlinie bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet
Vorabentscheidungsersuchen des BGH vom 10.11.2009 an den EuGH – VI ZR 217/08
1. Ist die Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis einzutreten droht“ in Art. 5 Nr. 3 EuGVVO bei (drohenden) Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Inhalte auf einer Internet-Website dahingehend auszulegen,
dass der Betroffene eine Unterlassungsklage gegen den Betreiber der Website unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat der Betreiber niedergelassen ist, auch bei den Gerichten jedes Mitgliedstaats erheben kann, in dem die Website abgerufen werden kann,
oder
setzt die Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats, in dem der Betreiber der Website nicht niedergelassen ist, voraus, dass ein über die technisch mögliche Abrufbarkeit hinausgehender besonderer Bezug der angegriffenen Inhalte oder der Website zum Gerichtsstaat (Inlandsbezug) besteht?
2. Wenn ein solcher besonderer Inlandsbezug erforderlich ist:
Nach welchen Kriterien bestimmt sich dieser Bezug?
Kommt es darauf an, ob sich die angegriffene Website gemäß der Bestimmung des Betreibers zielgerichtet (auch) an die Internetnutzer im Gerichtsstaat richtet oder genügt es, dass die auf der Website abrufbaren Informationen objektiv einen Bezug zum Gerichtsstaat in dem Sinne aufweisen, dass eine Kollision der widerstreitenden Interessen – Interesse des Klägers an der Achtung seines Persönlichkeitsrechts und Interesse des Betreibers an der Gestaltung seiner Website und an der Berichterstattung – nach den Umständen des konkreten Falls, insbesondere aufgrund des Inhalts der beanstandeten Website, im Gerichtsstaat tatsächlich eingetreten sein kann oder eintreten kann?
Kommt es für die Feststellung des besonderen Inlandsbezugs maßgeblich auf die Anzahl der Abrufe der beanstandeten Website vom Gerichtsstaat aus an?
3. Wenn es für die Bejahung der Zuständigkeit keines besonderen Inlandsbezugs bedarf oder wenn es für die Annahme eines solchen genügt, dass die beanstandeten Informationen objektiv einen Bezug zum Gerichtsstaat in dem Sinne aufweisen, dass eine Kollision der widerstreitenden Interessen im Gerichtsstaat nach den Umständen des konkreten Falls, insbesondere aufgrund des Inhalts der beanstandeten Website, tatsächlich eingetreten sein kann oder eintreten kann, und die Annahme eines besonderen Inlandsbezugs nicht die Feststellung einer Mindestanzahl von Abrufen der beanstandeten Website vom Gerichtsstaat aus voraussetzt:
Ist Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8.6.2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (nachfolgend: e-commerce-Richtlinie) dahingehend auszulegen,
dass diesen Bestimmungen ein kollisionsrechtlicher Charakter in dem Sinne beizumessen ist, dass sie auch für den Bereich des Zivilrechts unter Verdrängung der nationalen Kollisionsnormen die alleinige Anwendung des im Herkunftsland geltenden Rechts anordnen,
oder
handelt es sich bei diesen Vorschriften um ein Korrektiv auf materiell-rechtlicher Ebene, durch das das sachlich-rechtliche Ergebnis des nach den nationalen Kollisionsnormen für anwendbar erklärten Rechts inhaltlich modifiziert und auf die Anforderungen des Herkunftslandes reduziert wird?
Für den Fall, dass Art. 3 Abs. 1 und 2 e-commerce-Richtlinie kollisionsrechtlichen Charakter hat:
Ordnen die genannten Bestimmungen lediglich die alleinige Anwendung des im Herkunftsland geltenden Sachrechts oder auch die Anwendung der dort geltenden Kollisionsnormen an mit der Folge, dass ein renvoi des Rechts des Herkunftslands auf das Recht des Bestimmungslands möglich bleibt?
Ordnungsgeld: Vollstreckung nach EuGVVO
Vorabentscheidungsersuchen des Hoge Raad der Nederlanden an den EuGH vom 21.10.2009 – C-406/09 – Realchemie Nederland BV ./. Bayer CropScience AG
1. Ist der Begriff „Zivil- und Handelssachen“ in Art. 1 EuGVVO dahin auszulegen, dass diese Verordnung auch auf die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung anwendbar ist, die eine Verurteilung zur Zahlung eines Ordnungsgeldes nach § 890 ZPO umfasst?
2. Ist Art. 14 der Durchsetzungsrichtlinie dahin auszulegen, dass er auch auf ein Vollstreckungsverfahren anwendbar ist, das
a) eine in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Entscheidung über eine Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums,
b) eine in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Entscheidung, mit der ein Ordnungs- oder ein Zwangsgeld wegen Zuwiderhandlung gegen ein Verbot der Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums verhängt wurde,
c) in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Kostenfestsetzungsentscheidungen, die auf die unter a) und b) genannten Entscheidungen gestützt sind, betrifft?
Vermutung nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO
Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale ordinario di Bari (Italien) an den EuGH vom 12.10.2009 – C-396/09 – Interedil Srl in Liquidation ./. Fallimento Interedil Srl, Banca Intesa Gestione Crediti Spa
1. Ist der Begriff „Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht oder dem nationalen Recht auszulegen und - falls die erste Alternative zu bejahen sein sollte - was besagt dieser Begriff und welches sind die entscheidenden Faktoren oder Elemente zur Bestimmung des „Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen“?
2. Kann die Vermutung nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, wonach bei Gesellschaften bis zum Beweis des Gegenteils vermutet wird, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist, durch die Feststellung widerlegt werden, dass die Gesellschaft in einem anderen Staat als dem ihres satzungsmäßigen Sitzes einer geschäftlichen Tätigkeit nachgeht, oder ist zur Widerlegung der Vermutung die Feststellung erforderlich, dass die Gesellschaft in dem Staat ihres satzungsmäßigen Sitzes keine geschäftliche Tätigkeit entfaltet hat?
3. Sind die Belegenheit von Immobilien der Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat als dem ihres satzungsmäßigen Sitzes, das Bestehen eines Mietvertrags zwischen der Schuldnergesellschaft und einer anderen Gesellschaft über zwei Hotelkomplexe sowie eines Vertrags der Gesellschaft mit einem Geldinstitut, Elemente oder Faktoren, die ausreichen, um die Vermutung nach Art. 3 der EuInsVO zugunsten des „satzungsmäßigen Sitzes“ der Gesellschaft zu widerlegen, und rechtfertigen derartige Umstände die Annahme, dass die Gesellschaft „eine Niederlassung“ in diesem Staat im Sinne von Art. 3 Abs. 2 EuInsVO hat?
4. Steht, wenn die Entscheidung der Corte di Cassazione über die Zuständigkeit in ihrem Beschluss Nr. 10606/2005 auf einer Auslegung von Art. 3 EuInsVO beruht, die von der des Gerichtshofs abweicht, Art. 382 der italienischen Zivilprozessordnung, wonach die Corte di Cassazione über die Zuständigkeit endgültig und verbindlich entscheidet, der Anwendung des genannten Artikels in der Auslegung des Gerichtshofs entgegen?
US Bankruptcy Code: relief from the stay
BGH 13.10.2009 – X ZR 79/06
Das durch einen Antrag des Schuldners eingeleitete Verfahren nach Chapter 11 des US-amerikanischen Bankruptcy Code wird als Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens anerkannt. Betrifft die Insolvenz das Vermögen des Nichtigkeitsbeklagten, kann der Nichtigkeitskläger das Berufungsverfahren jedenfalls nicht aufnehmen, bevor er bei den zuständigen US-amerikanischen Gerichten um eine Aufhebung der Unterbrechung („relief from the stay“) nachgesucht hat.
Vollstreckungsimmunität und Mieteinnahmen
BGH 1.10.2009 – VII ZB 37/08
1. Die einem ausländischen Staat zustehenden Forderungen aus der Vermietung eines im Inland gelegenen Objekts, die ausschließlich für den Erhalt einer kulturellen Einrichtung dieses Staates verwendet werden, können hoheitlichen Zwecken dienen und unterliegen dann der Vollstreckungsimmunität.
2. Die von der Rechtsprechung zum Schutz diplomatisch und konsularisch genutzter Gegenstände gestellten Anforderungen an den Nachweis des Verwendungszwecks gelten in gleicher Weise für sonstige hoheitlich genutzte Gegenstände und Vermögenswerte einer an der Staatenimmunität teilhabenden kulturellen Einrichtung.
Objektives Vertragsstatut des Vergleichs bei Patentverletzungen
BGH 15.9.2009 – X ZR 115/05
Bei fehlender Rechtswahl weist ein Vergleich, mit dem im Wesentlichen die Ansprüche einer Partei wegen Patentverletzung gegen die Zahlung eines Geldbetrages sowie die Rücknahme von Nichtigkeitsklagen und Einsprüchen durch die andere Partei erledigt werden sollen, nach der Vermutung des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 EGBGB die engsten Verbindungen zu dem Sitzrecht der Partei auf, welche die Ansprüche wegen Patentverletzung geltend gemacht hat, weil darin die für den Vergleich charakteristische Leistung liegt.
Die Vermutung gilt jedenfalls dann, wenn mit dem Vergleich die Verletzung von Patenten in mehreren Staaten erledigt werden soll, so dass es bereits der Grundsatz der einheitlichen Vertragsanknüpfung ausschließt, dass der Vergleich nach Art. 28 Abs. 5 EGBGB eine engere Verbindung zu einem der Staaten hat, für die die Patente Schutz gewähren.
Ordre public-Einwand bei contempt of court
BGH 2.9.2009 – XII ZB 50/06
Ein Unterhaltstitel, der erlassen wurde, nachdem der Beklagte wegen Missachtung des Gerichts (contempt of court) vom Verfahren ausgeschlossen und seine Beschwerde gegen den Ausschluss deshalb als unzulässig zurückgewiesen worden war, kann gegen den verfahrensrechtlichen ordre public verstoßen. Dann ist eine Vollstreckbarerklärung für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland im Beschwerdeverfahren nach Art. 5 Nr. 1 HUVÜ 73 zu versagen.
Gesellschafterklage und Art. 5 Nr. 1 EuGVVO
BGH 22.9.2008 – II ZR 288/07
Der Vertragsgerichtsstand des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO steht für eine Klage gegen einen Gesellschafter einer GbR zur Durchsetzung von Ansprüchen aus einem mit der Gesellschaft geschlossenen Vertrag zur Verfügung.
Rechtsmissbrauch bei Vollstreckung eines Schiedsspruchs
BGH 17.4.2008 – III ZB 97/06
1. Der Grundsatz von Treu und Glauben kann im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs dazu führen, dass die Einwendungen des Antragsgegners gegen ein solches Ersuchen nicht zu berücksichtigen sind, weil ihnen der (Gegen-)Einwand der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium) entgegensteht.
2. Ein solcher (einwendungsvernichtender) Verstoß gegen Treu und Glauben ist nicht schon dann anzunehmen, wenn der durch den ausländischen Schiedsspruch verurteilte Antragsgegner bewusst davon absieht, die Aufhebung des Schiedsspruchs im Erlassstaat (hier: Dänemark) zu betreiben.
Titelkorrektur und EuVTVO
OLG Nürnberg 10.8.2009 – 3 W 483/09
Zur Frage, wann ein Kostenfestsetzungsbeschluss als Europäischer Titel nach der EuVTVO bestätigt werden kann, wenn im Kostenfestsetzungsverfahren Fehler aufgetreten sind, die Kostengrundentscheidung in einem einstweiligen Verfügungsverfahren ohne mündliche Verhandlung getroffen und der Verfügungsbeschluss ohne Rechtsbehelfsbelehrung zugestellt worden ist (ablehnend dazu Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2010, 18 f.).
Rechtsschutzbedürfnis und EuVTVO
OLG Stuttgart 20.4.2009 – 5 W 68/08
1. Es besteht ein Wahlrecht zwischen den Vollstreckungssystemen nach der EuVTVO und der EuGVVO.
2. Besteht ein Europäischer Vollstreckungstitel, so fehlt es daneben für eine Vollstreckbarerklärung nach der EuGVVO am Rechtsschutzbedürfnis. (ablehnend dazu Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2010, 18f)
3. Eine fehlerhafte Parteibezeichnung ist der Auslegung zugänglich und stellt dann gegebenenfalls keinen Versagungsgrund nach Art. 34 Nr. 1 EuGVVO dar.
Begründungserfordernis und EuVTVO
LG Mannheim 5.11.2009 – 8 O 188/09
Ein Versäumnisurteil muss auch dann nicht nachträglich begründet werden, wenn es im europäischen Ausland vollstreckt werden soll, wenn alternativ der Weg der EuVTVO eröffnet ist (ablehnend dazu Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2010, 18 f.).
Veranstaltungshinweise
- Die Kölner Juristische Gesellschaft lädt am 12.1.2010 um 18.30 Uhr im Berufsinformationszentrum, Luxemburger Straße 121, 50939 Köln zu einer Vortrags- und Diskussionsveranstaltung mit dem Titel „Costs of Civil Litigation – a Comparative View of the German and English System“ ein. Lord Justice Rupert Jackson berichtet über sein Gutachten für die englische Justiz über die Ursachen der hohen Kosten im englischen Zivilprozess und unterrichtet über seine Abhilfevorschläge. Anregungen gab ihm das deutsche Prozessrecht.
- Am 15./16.2.2010 findet in Paris das von der Europäischen Rechtsakademie (ERA) organisierte Seminar mit dem Titel „Wirksamer Rechtsschutz im Unionsrecht – Die Rolle der nationalen Gerichte“ statt. Das Seminar wird die Rolle des nationalen Richters bei der wirksamen Durchsetzung des Europarechts und die damit zusammenhängenden Probleme betrachten. Dazu wird es einerseits die Bedeutung der unionsrechtlichen Prinzipien für die richterliche Spruchtätigkeit untersuchen und andererseits die Anwendung und Durchsetzung des Europarechts vor den mitgliedstaatlichen Gerichten diskutieren. Tagungssprachen sind Englisch und Französisch.
- Die Europäische Rechtsakademie (ERA) veranstaltet am 18./19.2.2010 eine Tagung in Trier mit dem Titel „Grenzüberschreitende Erbfälle in der EU – Der neue Kommissionsvorschlag: Inhalt und weitere Entwicklung“. Gegenstand der Tagung ist der neue Kommissionsvorschlag zum Erbrecht. Es werden Vertreter der Kommission und der Ministerien, sowie Notare und Anwälte aus verschiedenen Mitgliedstaaten erwartet. Tagungssprache ist Englisch.
- Das International Investment Law Centre Cologne (www.iilcc.uni-koeln.de) veranstaltet am 5./6.3.2010 ein überregionales Doktorandentreffen zum Internationalen Investitionsrecht in Köln. Nachfragen an Dr. Jörn Griebel (0221/4706959; joern.griebeluni-koeln.de).
- Am 18./19.3.2010 veranstaltet die Europäische Rechtsakademie (ERA) eine Tagung zum Thema „Europäisches Vertragsrecht – Auf dem Weg zum ‚politischen’ Gemeinsamen Referenzrahmen“ in Trier. Hierbei sollen Inhalt und Perspektiven eines politischen Gemeinsamen Referenzrahmens diskutiert werden.
- Die Europäische Rechtsakademie (ERA) veranstaltet am 25./26.3.2010 in Trier eine Jahrestagung zum europäischen Arbeitsrecht 2010. Ziel dieser jährlich stattfindenden Tagung ist es, neue grundlegende Entwicklungen im europäischen Arbeits- und Sozialrecht in Gesetzgebung und Rechtsprechung vorzustellen. Hierzu zählen insbesondere die Bereiche Unterrichtungs- und Anhörungsrechte der Arbeitnehmer, Verknüpfung von Familien- und Berufsleben und Entsendung von Arbeitnehmern, sowie aktuelle EuGH-Rechtsprechung zur Arbeitszeit, Antidiskriminierung etc.
- Vom 8.–10.4.2010 findet die vom Institut für Europäisches Schadenersatzrecht der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ESR) und dem Europäischen Zentrum für Schadenersatz- und Versicherungsrecht (ECTIL) veranstaltete „Annual Conference on European Tort Law“ zum neunten Mal in Wien statt. Die Konferenz, die in englischer Sprache abgehalten wird, informiert über die neuesten Entwicklungen des Schadenersatzrechts in Europa im Berichtsjahr 2009. Die Veranstaltung beginnt mit einem Eröffnungsvortrag von Lord Bingham of Cornhill (Vereinigtes Königreich), es folgen Berichte von Experten aus den verschiedenen Rechtsordnungen über die aktuellsten schadenersatzrechtlichen Tendenzen in ihrem Heimatland, ein kurzer rechtsvergleichender Überblick, eine Darstellung der Entwicklungen auf europäischer Ebene und schließlich weitere schadenersatzrechtliche Vorträge zum Themenbereich „Wrongful Birth and Wrongful Life“. Weitere Informationen und Anmeldung unter www.ectil.org.
Stand: 02.01.2010