IPRax-Heft 2012,1
Neueste Informationen Heft 2012,1
Ergänzung der Rom II-VO: Persönlichkeitsdelikte
Der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments hat einen Vorschlag zur Ergänzung der Rom II-VO im Nachgang zur Entscheidung in den Rs. C-509/09 – eDate Advertising GmbH ./. X und C-161/10 – Olivier Martinez und Robert Martinez ./. MGN Limited vorgelegt (abrufbar unter http://bit.ly/tEXsh3). Er schlägt darin die Aufnahme des folgenden Art. 5a in die Verordnung vor:
(1) Without prejudice to Article 4(2) and (3), the law applicable to a non-contractual obligation arising out of violations of privacy and rights relating to personality, including defamation, shall be the law of the country in which the rights of the person seeking compensation for damage are, or are likely to be, directly and substantially affected. However, the law applicable shall be the law of the country in which the person claimed to be liable is habitually resident if he or she could not reasonably have foreseen substantial consequences of his or her act occurring in the country designated by the first sentence.
(2) When the rights of the person seeking compensation for damage are, or are likely to be, affected in more than one country, and that person sues in the court of the domicile of the defendant, the claimant may instead choose to base his or her claim on the law of the court seised.
(3) The law applicable to the right of reply or equivalent measures shall be the law of the country in which the broadcaster or publisher has its habitual residence.
(4) The law applicable under this Article may be derogated from by an agreement pursuant to Article 14.
Rechtsausschuss des Bundestages: Gemeinsames Europäisches Kaufrecht
Am 21.11.2011 hat vor dem Rechtsausschuss des Bundestages eine Expertenanhörung zum Kommissionsvorschlag für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (CESL; KOM [2011] 635) vom 11.10.2011 stattgefunden. Die Mehrheit der Teilnehmer sprach sich dabei gegen den Vorschlag aus und bezweifelte, auch in Anbetracht der Gefahr einer Verwirrung der europäischen Verbraucher, das Bedürfnis nach einem solchen einheitlichen Kaufrecht. Eine Minderheit begrüßte den Vorschlag dagegen als Beitrag zur Erleichterung des grenzübschreitendes Warenverkehrs.
Law Commission: Gemeinsames Europäisches Kaufrecht
Die Law Commission und die Scottish Law Commission haben am 10.11.2011 eine gemeinsame Stellungnahme zum Kommissionsvorschlag für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (CESL; KOM [2011] 635) vom 11.10.2011 veröffentlicht. Der 141 Seiten umfassende, das Instrument insgesamt begrüßende Text ist unter http://bit.ly/ubXXy2 abrufbar.
Kasachstan: Anerkennung und Vollstreckung von Drittlandsschiedssprüchen in Handelssachen – zu IPRax Heft 3/2011, S. 303–312
Zwischen der Annahme des Manuskripts „Anerkennung und Vollstreckung von Drittlandsschiedssprüchen in Handelssachen in den GUS-Mitgliedstaaten“ und seiner Veröffentlichung in Heft 3/2011 von IPRax sind Rechtsänderungen eingetreten, die den Inhalt der Darlegungen zu Kasachstan in Abschnitt V Ziffer 6, Abschnitt VI Ziffer 6 und Abschnitt VII dieses Beitrags berühren. Zum einen handelt es sich dabei um das Gesetz vom 28.12.2004 „Über das internationale Handelsschiedsgericht“, das durch ein verschiedene Rechtsakte betreffendes Änderungsgesetz vom 5.2.2010 novelliert wurde (geänderte Fassung auf Russisch und Englisch über www.arbitrage.kz). Art. 32 des novellierten Schiedsgerichtsgesetzes verweist im Hinblick auf die Anerkennung und Vollstreckung eines Schiedsspruches nur noch auf die Zivilprozessgesetzgebung des Landes. Zum anderen geht es um ein neues Gesetz vom 2.4.2010 „Über das Vollstreckungsverfahren und die Rechtsstellung der Gerichtsvollzieher“ i.d.F. seiner Änderungen vom 1.3.2011 (Gesetzesfassung auf Russisch über www.zakon.kaz). Art. 5 dieses Gesetzes bestimmt, dass sich das Verfahren der Zwangsvollstreckung internationaler und ausländischer Schiedsgerichtsentscheidungen nach den von Kasachstan ratifizierten völkerrechtlichen Verträgen und dem nationalen Vollstreckungsgesetz richtet. Das neue Vollstreckungsgesetz ist, ausgenommen dessen Art. 34, am 20.10.2010 in Kraft getreten. Gleichzeitig wurde das gleichnamige Gesetz vom 30.6.1998 außer Kraft gesetzt.
(Mitgeteilt von Dipl.-Jur. Christel Mindach, Berlin)
Rumänien: Neues Zivilgesetzbuch („Codul civil“) seit 1.10.2011 in Kraft
Das schon am 24.7.2009 in „Monitorul Oficial al României“ Nr. 511 veröffentlichte neue rumänische Zivilgesetzbuch (Gesetz Nr. 287/2009 – im Folgenden „ZGB“) ist durch das Einführungsgesetz Nr. 71/2011 vom 3.6.2011 („Lege pentru punerea in aplicare a Legii nr. 287/2009 privind Codul civil“) zum 1.10.2011 in Kraft gesetzt und zugleich geändert bzw. ergänzt worden. Die Neukodifikation kann als legislatorischer Paradigmenwechsel bezeichnet werden, denn sie folgt dem monistischen Privatrechtsmodell. Indem sie mit den rumänischen Rechtstraditionen bricht, gehören neben dem am Vorbild des Code Napoléon orientierten Zivilgesetzbuch von 1864 auch die Mehrzahl der privatrechtlichen Sondergesetze nunmehr der Vergangenheit an. Ihre spezifischen Regelungsgegenstände wurden – zum Teil mit Veränderungen – in das ZGB integriert. Das betrifft insbesondere das Familiengesetzbuch von 1954, das Handelsgesetzbuch von 1887, aber auch das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse des Internationalen Privatrechts von 1992. Für die Neuregelung stand eine Reihe ausländischer Zivilgesetzbücher Pate: z.B. das ZGB von Québec, die ZGB von Frankreich, Spanien, Italien und Brasilien, das deutsche BGB und das Obligationenrecht des schweizerischen ZGB. Als absolutes Novum im schuldrechtlichen Bereich (Buch V – „Über das Schuldrecht“) ist anzusehen, dass die tradierte Trennung von zivil- und handelsrechtlichen Schuldverhältnissen aufgegeben wurde. Des Weiteren weist das Buch V – im Übrigen erstmalig in der rumänischen Zivilrechtsgeschichte – einen Allgemeinen Teil des Schuldrechts auf. Das Vertragsrecht wird grundsätzlich weiterhin durch das Konsensualprinzip bestimmt, wenn auch nicht in der exklusiven Ausprägung wie vordem. Das insgesamt 2.664 Artikel umfassende neue ZGB gliedert sich in einen Einleitungstitel („Titlul Preliminar“) und in die Bücher I–VII. Der ZGB-Text in rumänischer Sprache kann über verschiedene Webadressen heruntergeladen werden, so unter anderem über http://legeaz.net/noul-cod-civil/ oder http://coduri.cjo.ro/codul-civil/.
(Mitgeteilt von Dipl.-Jur. Christel Mindach, Berlin)
Polen: Verfassungsgerichtliche Kontrolle der EuGVVO
Polnischer Verfassungsgerichtshof 16.11.2011 – SK 45/09
1. Verordnungen der Europäischen Union sind normative Akte im Sinne von Art. 79 Abs. 1 der polnischen Verfassung und, da sie die dort verbürgten Rechte und Freiheiten berühren können, zulässiger Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde.
2. Die polnische Verfassung bewahrt ihre in Art. 8 Abs. 1 der polnischen Verfassung festgeschriebene Vorrangigkeit auch gegenüber (sekundärem) EU-Recht. Der Verfassungsgerichtshof ist daher ermächtigt, die Verfassungskonformität von Verordnungen der Europäischen Union zu überprüfen. Ist das Ergebnis dieser Kontrolle die Verfassungswidrigkeit einer Verordnung, so kann sie in Polen keine rechtliche Wirkung entfalten, sofern der Konflikt nicht zeitnah überwunden werden kann.
3. Art. 41 S. 2 EuGVVO verletzt nicht das in Art. 45 Abs. 1 der polnischen Verfassung verbürgte Recht auf rechtliches Gehör. Insbesondere besteht auf Grundlage gegenseitigen Vertrauens sowie der in den Mitgliedsstaaten geltenden nationalen Bestimmungen und der EMRK eine Vermutung zugunsten der Achtung des Rechts auf rechtliches Gehör durch den Mitgliedsstaat, in dem die nach Art. 41 EuGVVO zu vollstreckende Entscheidung ergangen ist.
4. (Zukünftige) Verfassungsbeschwerden gegen Akte des europäischen Sekundärrechts sind nur dann erfolgreich, wenn sie nachweisen, dass der angegriffene Rechtsakt zu einem geringeren Schutz von Rechten und Freiheiten führt als ihn die polnische Verfassung garantiert.
Parallele Urheberrechtsverletzungen und Art. 6 Nr. 1 EuGVVO
EuGH 1.12.2011 – Rs. C-145/10 – Eva-Maria Painer ./. Standard VerlagGmbH und andere
1. Art. 6 Nr. 1 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass es seiner Anwendung für sich genommen nicht entgegensteht, dass gegen mehrere Beklagte wegen inhaltlich identischer Urheberrechtsverletzungen erhobene Klagen auf je nach Mitgliedstaat unterschiedlichen nationalen Rechtsgrundlagen beruhen. Es ist Sache des nationalen Gerichts, anhand des gesamten Akteninhalts zu prüfen, ob die Gefahr besteht, dass in getrennten Verfahren unterschiedliche Entscheidungen ergehen.
2. Art. 6 der Richtlinie 93/98/EWG des Rates vom 29.10.1993 zur Harmonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte ist dahin auszulegen, dass eine Fotografie nach dieser Bestimmung urheberrechtlich geschützt sein kann, sofern sie, was das nationale Gericht im Einzelfall zu prüfen hat, die eigene geistige Schöpfung des Urhebers darstellt, in der dessen Persönlichkeit zum Ausdruck kommt und die sich in dessen bei ihrer Herstellung getroffenen freien kreativen Entscheidungen ausdrückt. Ist festgestellt worden, dass die fragliche Porträtfotografie die Qualität eines Werks aufweist, ist ihr Schutz nicht schwächer als derjenige, der anderen Werken – fotografische Werke eingeschlossen – zukommt.
3. Art. 5 Abs. 3 lit. e der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.5.2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist unter Bedacht auf deren Art. 5 Abs. 5 dahin auszulegen, dass ein Medium wie ein Presseverlag nicht aus eigener Initiative unter Berufung auf ein Ziel der öffentlichen Sicherheit ein urheberrechtlich geschütztes Werk nutzen darf. Es lässt sich jedoch nicht ausschließen, dass es im Einzelfall zur Erreichung eines solchen Ziels beitragen kann, indem es eine Fotografie einer gesuchten Person veröffentlicht. Diese Initiative muss jedoch zum einen im Zusammenhang mit einer Entscheidung oder einem Vorgehen der zuständigen nationalen Behörden zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit stehen, und sie muss zum anderen im Einvernehmen und in Absprache mit diesen Behörden ergriffen werden, soll sie nicht deren Maßnahmen zuwiderlaufen, ohne dass allerdings ein konkreter, aktueller und ausdrücklicher Aufruf der Sicherheitsbehörden, zu Fahndungszwecken eine Fotografie zu veröffentlichen, erforderlich wäre.
4. Art. 5 Abs. 3 lit. d der Richtlinie 2001/29 ist unter Bedacht auf deren Art. 5 Abs. 5 dahin auszulegen, dass es seiner Anwendung nicht entgegensteht, dass der ein Werk oder einen sonstigen Schutzgegenstand zitierende Presseartikel kein urheberrechtlich geschütztes Sprachwerk ist.
5. Art. 5 Abs. 3 lit. d der Richtlinie 2001/29 ist unter Bedacht auf deren Art. 5 Abs. 5 dahin auszulegen, dass seine Anwendung voraussetzt, dass die Quelle, einschließlich des Namens des Urhebers oder des ausübenden Künstlers, des zitierten Werks oder sonstigen Schutzgegenstands angegeben wird. Ist dieser Name jedoch nach Art. 5 Abs. 3 lit. e der Richtlinie 2001/29 nicht angegeben worden, ist diese Verpflichtung als erfüllt anzusehen, wenn lediglich die Quelle angegeben wird.
Intertemporale Anwendbarkeit der Rom II-VO
EuGH 17.11.2011 – Rs. C-412/10 – Deo Antoine Homawooegen ./. GMF Assurances SA
Die Art. 31 und 32 Rom II-VO in Verbindung mit Art. 297 AEUV sind dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht verpflichtet ist, diese Verordnung nur auf schadensbegründende Ereignisse anzuwenden, die ab dem 11.1.2009 eingetreten sind, und dass der Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens, mit dem Schadensersatz eingeklagt wird, oder der Zeitpunkt der Bestimmung des anwendbaren Rechts durch das angerufene Gericht keinen Einfluss auf die Festlegung des zeitlichen Anwendungsbereichs dieser Verordnung haben.
Anwendung der EuGVVO bei einem Beklagten mit unbekanntem Wohnsitz
EuGH 17.11.2011 – Rs. C-327/10 – Hypote?ní banka a.s. ./. Udo Mike Lindner
1. Die EuGVVO ist dahin auszulegen, dass die Anwendung der in dieser Verordnung festgelegten Zuständigkeitsvorschriften voraussetzt, dass die fragliche Situation in dem Rechtsstreit, mit dem ein mitgliedstaatliches Gericht befasst ist, Fragen in Bezug auf die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit dieses Gerichts aufwerfen kann. Eine solche Situation besteht in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, in dem ein mitgliedstaatliches Gericht mit einer Klage gegen einen Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats befasst ist, dessen Wohnsitz diesem Gericht nicht bekannt ist.
2. Die EuGVVO ist dahin auszulegen, dass
– in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, in der ein Verbraucher, der Partei eines langfristigen Hypothekendarlehensvertrags ist, mit dem die Verpflichtung verbunden ist, dem Vertragspartner jede Adressänderung mitzuteilen, seinen Wohnsitz aufgibt, bevor gegen ihn eine Klage wegen Verletzung seiner vertraglichen Pflichten erhoben wird, die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sich der letzte bekannte Wohnsitz des Verbrauchers befindet, nach Art. 16 Abs. 2 dieser Verordnung zuständig sind, über diese Klage zu befinden, wenn es ihnen nicht gelingt, in Anwendung von Art. 59 dieser Verordnung den aktuellen Wohnsitz des Beklagten festzustellen, und sie auch nicht über beweiskräftige Indizien verfügen, die den Schluss zulassen, dass der Beklagte seinen Wohnsitz tatsächlich außerhalb des Unionsgebiets hat;
– diese Verordnung die Anwendung einer Bestimmung des nationalen Prozessrechts eines Mitgliedstaats, die in dem Bemühen, Fälle der Justizverweigerung zu vermeiden, die Durchführung von Verfahren gegen Personen, deren Aufenthalt unbekannt ist, in deren Abwesenheit ermöglicht, nicht verwehrt, wenn sich das angerufene Gericht vor der Entscheidung über den Rechtsstreit vergewissert hat, dass alle Nachforschungen, die der Sorgfaltsgrundsatz und der Grundsatz von Treu und Glauben gebieten, vorgenommen worden sind, um den Beklagten ausfindig zu machen.
Gläubiger im Sinne von Art. 3 Abs. 4 EuInsVO
EuGH 17.11.2011 – Rs. C-112/10 – Procureur-generaal bij het hof van beroep te Antwerpen ./. Zaza Retail BV
1. Der Ausdruck „die Bedingungen, die […] vorgesehen sind“ in Art. 3 Abs. 4 lit. a EuInsVO, der auf die Voraussetzungen verweist, die nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat, die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in diesem Staat verhindern, ist dahin auszulegen, dass er sich nicht auf die Voraussetzungen bezieht, nach denen bestimmte Personen aus dem Kreis derjenigen ausgeschlossen sind, die befugt sind, die Eröffnung eines solchen Verfahrens zu beantragen.
2. Der Begriff „Gläubiger“ in Art. 3 Abs. 4 lit. b EuInsVO, der den Kreis der Personen bezeichnet, die befugt sind, die Eröffnung eines unabhängigen Partikularverfahrens zu beantragen, ist dahin auszulegen, dass er die Behörde eines Mitgliedstaats, die nach dessen nationalem Recht den Auftrag hat, im Allgemeininteresse zu handeln, aber weder als Gläubiger noch im Namen und für Rechnung der Gläubiger eingreift, nicht umfasst.
Internetpressedelikte: EuGVVO/Art. 3 e-commerce-Richtlinie ist keine Kollisionsnorm
EuGH 25.10.2011 – Rs. C-509/09 und C-161/10 – eDate Advertising GmbH ./. X und Oliver Martinez, Robert Martinez ./. MGN Limited
1. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass im Fall der Geltendmachung einer Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Inhalte, die auf einer Website veröffentlicht worden sind, die Person, die sich in ihren Rechten verletzt fühlt, die Möglichkeit hat, entweder bei den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem der Urheber dieser Inhalte niedergelassen ist, oder bei den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem sich der Mittelpunkt ihrer Interessen befindet, eine Haftungsklage auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens zu erheben. Anstelle einer Haftungsklage auf Ersatz des gesamten entstandenen Schadens kann diese Person ihre Klage auch vor den Gerichten jedes Mitgliedstaats erheben, in dessen Hoheitsgebiet ein im Internet veröffentlichter Inhalt zugänglich ist oder war. Diese sind nur für die Entscheidung über den Schaden zuständig, der im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats des angerufenen Gerichts verursacht worden ist.
2. Art. 3 der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8.6.2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) ist dahin auszulegen, dass er keine Umsetzung in Form einer speziellen Kollisionsregel verlangt. Die Mitgliedstaaten müssen jedoch vorbehaltlich der bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2001/31 gestatteten Ausnahmen im koordinierten Bereich sicherstellen, dass der Anbieter eines Dienstes des elektronischen Geschäftsverkehrs keinen strengeren Anforderungen unterliegt, als sie das im
Sitzmitgliedstaat dieses Anbieters geltende Sachrecht vorsieht.
EuGH: Anforderungen an Mediationsverfahren
Vorabentscheidungsersuchen des Giudice di Pace di Mercato San Severino (Italien) an den EuGH vom 26.9.2011 – Rs. C-492/11 – Ciro Di Donna ./. Società imballaggi metallici Salerno Srl (SIMSA)
Stehen die Art. 6 und 13 EMRK, Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.5.2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen, der allgemeine Grundsatz des Unionsrechts des effektiven Rechtsschutzes und allgemein das Unionsrecht in seiner Gesamtheit der Einführung einer Regelung in einem der Mitgliedsstaaten der Union, wie sie in der in Italien im Decreto legislativo Nr. 28/2010 und im Ministerialdekret Nr. 180/2010 in der durch das Ministerialdekret Nr. 145/2011 geänderten Fassung, enthalten ist, entgegen, wonach
– das Gericht im nachfolgenden Rechtsstreit Beweisargumente zulasten der Partei, die ohne rechtfertigenden Grund an einem obligatorischen Mediationsverfahren nicht teilgenommen hat, ableiten kann;
– das Gericht die Rückforderung der Kosten, die von der obsiegenden Partei, die einen Vorschlag zur Streitbeilegung abgelehnt hat, aufgewandt worden sind und die sich auf den Zeitraum nach der Formulierung des Vorschlags beziehen, ausschließen und dieser Partei die Tragung der Kosten der unterliegenden Partei in Bezug auf diesen Zeitraum sowie die Zahlung eines weiteren Betrags zugunsten des Staatshaushalts in Höhe des bereits für die geschuldete Gebühr (Einheitsgebühr) geleisteten auferlegen muss, wenn die Entscheidung, die das nach der Formulierung des Vorschlags eingeleitete gerichtliche Verfahren abschließt, vollständig mit dem Inhalt des abgelehnten Vorschlags übereinstimmt;
– das Gericht bei Vorliegen schwerer und außerordentlicher Gründe die Rückforderung der von der obsiegenden Partei für die dem Mediator geschuldete Aufwandsentschädigung und die Vergütung des Sachverständigen aufgewandten Kosten ausschließen kann, auch wenn die Entscheidung, die das gerichtliche Verfahren abschließt, nicht vollständig mit dem Inhalt des Vorschlags übereinstimmt;
– das Gericht der Partei, die ohne rechtfertigenden Grund nicht an dem Mediationsverfahren teilgenommen hat, die Zahlung eines Betrags zugunsten des Staatshaushaltes in Höhe der für das Gerichtsverfahren geschuldeten Einheitsgebühr auferlegen muss;
– der Mediator einen Vorschlag zur Streitbeilegung auch dann formulieren kann oder sogar muss, wenn keine Einigung der Parteien vorliegt, und zwar auch, wenn die Parteien am Verfahren nicht teilgenommen haben;
– die Frist für den Abschluss des Versuchs der Mediation bis zu vier Monate betragen kann;
– auch nach Ablauf der Frist von vier Monaten seit Beginn des Verfahrens die Klageerhebung erst zulässig ist, nachdem beim Sekretariat der Einrichtung für Mediation das vom Mediator verfasste Protokoll über das Nichtzustandekommen der Einigung, das den abgelehnten Vorschlag wiedergibt, erlangt worden ist;
– nicht ausgeschlossen ist, dass so viele Mediationsverfahren stattfinden können - mit der daraus folgenden Verlängerung der für die Beendigung der Streitigkeit benötigten Zeit -, wie im Laufe des in der Zwischenzeit begonnenen gerichtlichen Verfahrens neue rechtmäßige Anträge gestellt werden;
– die Kosten des verpflichtenden Mediationsverfahrens mindestens doppelt so hoch sind wie die des gerichtlichen Verfahrens, das durch das Mediationsverfahren vermieden werden soll, und dieses Missverhältnis exponentiell ansteigt, je höher der Wert der Streitigkeit ist (soweit, dass die Kosten der Mediation die des gerichtlichen Verfahrens um mehr als das Sechsfache übersteigen) oder je komplexer diese ist (in diesem Fall wird sich die Benennung eines von den Verfahrensparteien zu vergütenden Sachverständigen als notwendig erweisen, der dem Mediator in Streitigkeiten hilft, die bestimmte Fachkenntnisse verlangen, ohne dass das vom Sachverständigen erstellte Gutachten oder die von ihm gesammelten Informationen im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren verwendet werden können)?
EuGH: Anforderungen an Mediatioren
Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale di Palermo (Italien) an den EuGH vom 7.9.2011
– Rs. C-464/11 – Paola Galioto ./. Maria Guccione, Maria Piera Savona, Fabio Savona
1. Können die Art. 3 und 4 der Richtlinie 2008/52/EG über die wirksame und sachkundige Mediation dahin ausgelegt werden, dass sie verlangen, dass der Mediator auch über juristische Kenntnisse verfügen und die Auswahl des Mediators durch den Verantwortlichen der Einrichtung mit Rücksicht auf die spezifischen Kenntnisse und beruflichen Erfahrungen auf dem streitgegenständlichen Gebiet getroffen werden muss?
2. Kann Art. 1 der Richtlinie 2008/52/EG dahin ausgelegt werden, dass er Kriterien über die örtliche Zuständigkeit der Einrichtungen für Mediation verlangt, die darauf abzielen, den Zugang zur alternativen Streitbelegung zu erleichtern und die gütliche Beilegung von Streitigkeiten zu fördern?
3. Können Art. 1 der Richtlinie 2008/52/EG über ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Mediation und Gerichtsverfahren, Art. 3 lit. a sowie die Erwägungsgründe 10 und 13 der Richtlinie 2008/52/EG über die zentrale Bedeutung der Freiwilligkeit der Parteien in der Verantwortung für das Mediationsverfahren und ihrer Entscheidung über die Beendigung dieses Verfahrens dahin ausgelegt werden, dass der Mediator, wenn keine gütliche Vereinbarung auf freiwilliger Basis getroffen wurde, einen Vorschlag zur gütlichen Einigung formulieren kann, es sei denn, die Parteien bitten ihn übereinstimmend, davon abzusehen (weil sie das Mediationsverfahren beenden wollen)?
Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende gerichtliche Fürsorgepflicht: Zuständigkeitsprüfung
BGH 12.10.2011 – IV ZB 17/10
1. Die aus dem Gebot des fairen Verfahrens in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip folgende Fürsorgepflicht der staatlichen Gerichte führt nicht zu einer generellen Verpflichtung zur sofortigen Prüfung der Zuständigkeit bei Eingang der Rechtsmittelschrift. Jedoch ist die Weiterleitung der Rechtsmittelschrift an das zuständige Gericht im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs geboten, wenn die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts „ohne weiteres“ bzw. „leicht und einwandfrei“ zu erkennen ist.
2. Solange die Akte im ordnungsgemäßen Geschäftsgang dem Richter nicht vorgelegen hat, kommt es für die „leichte Erkennbarkeit“ nur auf das Wissen des zuständigen Geschäftsstellenbeamten an.
3. Die Änderung des § 119 Abs. 1 GVG mit Wirkung zum 1.9.2009 brauchte ein Geschäftsstellenbeamter im Dezember 2009 nicht zu kennen.
Internationale Zuständigkeit bei deliktischen Mittätern
OLG München 17.11.2011 – 29 U 3496/11
Bei einer Beteiligung Mehrerer an einer unerlaubten Handlung muss sich jeder Beteiligte die von einem anderen Beteiligten erbrachten Tatbeiträge im Rahmen der Prüfung der internationalen Zuständigkeit gemäß § 32 ZPO zurechnen lassen. Entsprechendes gilt für als Dritte im Sinne des § 101 Abs. 2 UrhG bzw. als Störer in Anspruch Genommene im Verhältnis zum Verletzer; sie müssen sich den Tatbeitrag des Verletzers zurechnen lassen.
(Mitgeteilt von RiOLG Ulrich Kartzke, München)
Eherechtliche Vorfrage im Erbrechtsverfahren
OLG Stuttgart 4.10.2011 – 8 W 321/11
1. Zu den Voraussetzungen der Unwirksamkeit der erbvertraglichen Alleinerbeneinsetzung eines Ehegatten gemäß §§ 2279 Abs. 2, 2077 Abs. 1 Satz 2 BGB, wenn zurzeit des Todes des Erblassers die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe gegeben waren und der Erblasser ihr zugestimmt hatte.
2. Zu dem anzuwendenden Recht, wenn die Eheleute ausschließlich deutsche Staatsangehörige sind und das Scheidungsverfahren in Liechtenstein anhängig ist, wohin sie ihren Wohnsitz verlegt hatten.
EuInsVO: Center of Main Interests und Vorfragen
OLG Hamm 15.9.2011 – I-18 U 226/10, 18 U 226/10
1. Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Insolvenzschuldners nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, sog. COMI (Center of Main Interests), liegt im Deutschland, wenn der Insolvenzschuldner dort wohnt und dort gewerblich tätig war.
2. Sind deutsche Gerichte gem. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zuständig, sind sie auch gem. Art. 4 EuInsVO befugt, ihre Maßnahmen nach deutschem Recht zu treffen (Gleichlaufprinzip).
3. Zur Insolvenzmasse eines nach deutschem Recht zu führenden Insolvenzverfahrens können im Ausland belegene Vermögensgegenstände gehören.
4. Streitet der Insolvenzverwalter mit einem Dritten über das Bestehen einer zur Insolvenzmasse gehörenden Forderung, ist das anwendbare Recht nach den Normen des IPR (vorliegend der Art. 38ff EGBGB a.F.) zu bestimmen und nicht über die Normen des internationalen Insolvenzrechts (Art. 4 ff. EuInsVO).
5. Liegen bei einem Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung wegen Eingriffs in die Forderungszuständigkeit (§ 816 Abs. 2 BGB) die gewöhnlichen Aufenthaltsorte von Bereicherungsgläubiger und -schuldner in Deutschland, führt bereits die den Vorrang vor Art. 38 Abs. 2 EGBGB genießende Ausweichklausel des Art. 41 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB zur Anwendung deutschen Rechts.
Anerkennung englischer Restschuldbefreiung
AGH Bayern 24.3.2011 – I-35/08
1. Zur gesetzlichen Vermutung des Vermögensausfalls gem. § 15 Abs. 2 Nr. 7 BRAO bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Eintrag in das englische Insolvenzregister.
2. Zur Anerkennung von Entscheidungen zur Durchführung oder Beendigung des ausländischen Insolenzverfahrens nach § 343 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 InsO, insbesondere zum ordre public-Vorbehalt des § 343 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO.
Veranstaltungshinweise
Am 13.1.2012 veranstaltet die Deutsche Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit e.V. (IRZ-Stiftung) unter Schirmherrschaft der Präsidentin des Bundespatentgerichts in Zusammenarbeit mit der Deutsch-Türkischen Juristenvereinigung e.V. und der Türkisch-Deutschen Industrie- und Handelskammer Unternehmerverband e.V. eine Tagung zum Thema „Gewerblicher Rechtsschutz in der Türkei – Erwerb und Durchsetzung von gewerblichen Schutzrechten“. Tagungsort ist der Justizpalast in München. Programm und Anmeldeformular unter: http://www.tuerkei-recht.de/.
Am 9./10.2.2012 richtet die Academy of European Law (ERA) in Trier eine Konferenz zum Thema „An Optional European Sales Law“ aus. Diskutiert wird der Kommissionsvorschlag für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht vom Oktober 2011. Weitere Information und Anmeldung unter: www.era.int.
Vom 12.–14.4.2012 findet die 11. Annual Conference on European Tort Law in Wien statt. Veranstalter sind das Institut für Europäisches Schadenersatzrecht der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ESR) und das Europäische Zentrum für Schadenersatz und Versicherungsrecht (ECTIL). Die Konferenz, die in englischer Sprache abgehalten wird, informiert über die neuesten Entwicklungen des Schadenersatzrechts in Europa im Berichtsjahr 2011. Im Anschluss an die Veranstaltung werden die Ergebnisse im Yearbook „European Tort Law 2011” veröffentlicht. Weitere Informationen und Anmeldung: Europäisches Zentrum für Schadenersatz- und Versicherungsrecht (ECTIL), Reichsratsstrasse 17/2, 1010 Wien, Österreich – Tel. (0043 1) 4277 29650 – Fax (0043 1) 4277 29670 – E-Mail ectil@ectil.org – http://www.ectil.org.
Stand: 04.01.2011