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Neueste Informationen Heft 2012,3

Erbrechtsverordnung im Parlament angenommen

Das Europäische Parlament hat am 13.3.2012 eine legislative Entschließung zur geplanten Verordnung zum internationalen Erbrecht und zur Einführung eines europäischen Erbscheins angenommen. Sie beruht auf dem Kommissionsvorschlag vom 14.10.2009 (KOM (2009) 154 endg.). Die endgültige Annahme durch den Rat wird noch während der dänischen Ratspräsidentschaft, d.h. bis spätestens zum 30.6.2012, erwartet. Eine vorläufige Fassung kann unter http://bit.ly/zpDSR6 abgerufen werden.

Tschechische Republik: Abschluss der Privatrechtsrekodifikation durch neues Gesetz über das internationale Privat- und Prozessrecht

Das tschechische Gesetz über das internationale Privat- und Prozessrecht (Zákon o mezinárodním právu soukromém) vom 13.2.2012 wurde am 22.3.2012 im tschechischen Gesetzblatt Sbírka zákon? unter der Nr. 91/2012 Sb. veröffentlicht. Das Gesetz steht im Zusammenhang mit der zeitgleich erfolgten Verabschiedung des neuen Bürgerlichen Gesetzbuchs Tschechiens (Ob?anský zákoníkGesetz Nr. 89/2012 Sb). Die Gesetze werden zum 1.1.2014 ebenso wie das Gesetz über Handelsgesellschaften (Zákon o obchodních korporacích, Gesetz Nr. 90/2012 Sb.) in Kraft treten. Die Vorarbeiten stammen aus der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts (näher zu den Hintergründen P. Bohata in WiRO 2011, 353).

Das neue tschechische IPR-Gesetz ersetzt das noch aus Zeiten der sozialistischen Tschechoslowakei stammende Gesetz Nr. 97/1963 Sb. des Jahres 1963, zu dem seither nicht weniger als 18 Änderungsgesetze ergangen waren. Die vollständige Neukodifizierung umfasst 125 Paragrafen und unterteilt sich in acht Abschnitte, wobei das Verfahrensrecht im zweiten, die allgemeinen Bestimmungen des internationalen Privatrechts im dritten und die besonderen Rechtsinstitute im vierten Abschnitt geregelt sind. Es schließen sich Regelungen zur Amtshilfe im internationalen Rechtsverkehr (5.) sowie Vorgaben für Insolvenzverfahren (6.) an. Schiedsverfahren und die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen folgen im siebten Abschnitt noch vor den Übergangs- und Endbestimmungen.

(Mitgeteilt von RA Martin T. Ondrejka, Köln)

Portugal: Gerichtshof für Fragen des Geistigen Eigentums

Mit Decreto-Lei n.º 67/2012 vom 20.3.2012 wurde in Portugal ein neuer Gerichtshof für Fragen des Geistigen Eigentums in Lissabon eingerichtet. Siehe unter:http://dre.pt/pdf1sdip/2012/03/05700/0127501277.pdf

Opinio Juris

Die Webseite „Opinio Juris“ (http://http://opiniojuris.org) bietet einen Blog mit aktuellen Debatten aus dem Gebiet des internationalen Rechts. Sie geht zurück auf eine Initiative der amerikanischen Rechtswissenschaftler Prof. Borgen und Prof. McGuiness, beide St. John’s University, New York, und Prof. Ku, Hofstra University, Hampstead, NY. Sie wird inzwischen von mehreren Professoren aus den USA und Australien redaktionell betreut und mit Beiträgen versorgt. Von besonderem Interesse ist das nach Schlagwörtern kategorisierte Archiv zu diversen Themenfeldern des internationalen Rechts, darunter auch Themen des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts.

Mehr binationale Ehen

Die Zahl der in Deutschland gelebten gemischtnationalen Ehen ist im Jahr 2011 von 6 % auf 7 % aller Ehen angestiegen. 1996 lag der Anteil noch bei 3 %.

Im 2011 waren sowohl Frauen (17 %) als auch Männer (11 %) am häufigsten mit türkischen Staatsbürgern verheiratet. An zweiter und dritter Stelle folgten für Frauen Italiener und Österreicher, für Männer Polinnen und Russinnen als Ehepartner.

(Quelle: Statistisches Bundesamt – https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/ Pressemitteilungen/zdw/2011/PD11_043_p002.html)

Öffentliche Zustellung und Grundrechte-Charta/Ausrichten einer Website

EuGH 15.3.2012 – Rs. C-292/10 – G ./. Cornelius de Visser

1. Art. 4 Abs. 1 EuGVVO ist unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens dahin auszulegen, dass er der Anwendung von Art. 5 Nr. 3 dieser Verordnung auf eine Haftungsklage wegen des Betriebs einer Website gegen einen Beklagten, der mutmaßlich Unionsbürger ist, dessen Aufenthaltsort jedoch unbekannt ist, nicht entgegensteht, wenn das angerufene Gericht nicht über beweiskräftige Indizien verfügt, die den Schluss zulassen, dass dieser Beklagte seinen Wohnsitz tatsächlich außerhalb des Gebiets der Europäischen Union hat.

2. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es dem Erlass eines Versäumnisurteils gegen einen Beklagten nicht entgegensteht, dem mangels Ermittelbarkeit seines Aufenthalts die Klage nach nationalem Recht öffentlich zugestellt wurde, sofern sich das angerufene Gericht vorher vergewissert hat, dass alle Nachforschungen, die der Sorgfaltsgrundsatz und der Grundsatz von Treu und Glauben gebieten, vorgenommen worden sind, um den Beklagten ausfindig zu machen.

3. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es der Bestätigung eines Versäumnisurteils gegen einen Beklagten, dessen Anschrift unbekannt ist, als Europäischer Vollstreckungstitel im Sinne der EuVTVO für unbestrittene Forderungen entgegensteht.

4. Art. 3 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8.6.2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) findet in einem Fall keine Anwendung, in dem der Ort der Niederlassung des Anbieters von Diensten der Informationsgesellschaft unbekannt ist, da diese Bestimmung nur dann anwendbar ist, wenn der Mitgliedstaat, in dessen Gebiet der betreffende Anbieter tatsächlich niedergelassen ist, feststeht.

Arbeitsort und Niederlassung nach Art. 6 EVÜ

EuGH 15.12.2011 – Rs. C-384/10 – Jan Voogsgeerd ./. Navimer SA

1. Art. 6 Abs. 2 des Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, aufgelegt zur Unterzeichnung am 19.6.1980 in Rom, ist dahin auszulegen, dass das angerufene Gericht zunächst festzustellen hat, ob der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit in ein und demselben Staat verrichtet, und zwar dem Staat, in dem oder von dem aus er unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände, die diese Tätigkeit kennzeichnen, seine Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber im Wesentlichen erfüllt.

2. Für den Fall, dass das vorlegende Gericht der Ansicht ist, dass es über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit nicht aufgrund von Art. 6 Abs. 2 lit. a dieses Übereinkommens entscheiden kann, ist Art. 6 Abs. 2 lit. b dieses Übereinkommens wie folgt auszulegen:

– Unter dem Begriff „Niederlassung […], die den Arbeitnehmer eingestellt hat“ ist ausschließlich die Niederlassung, die die Einstellung des Arbeitnehmers vorgenommen hat, und nicht die Niederlassung, bei der er tatsächlich beschäftigt ist, zu verstehen;

– der Besitz der Rechtspersönlichkeit ist keine Anforderung, die die Niederlassung des Arbeitgebers im Sinne dieser Bestimmung erfüllen muss;

– die Niederlassung eines anderen Unternehmens als desjenigen, das formal als Arbeitgeber auftritt und zu dem anderen Unternehmen Beziehungen unterhält, kann als „Niederlassung“ im Sinne von Art. 6 Abs. 2 lit. b dieses Übereinkommens eingestuft werden, wenn sich anhand objektiver Umstände belegen lässt, dass die tatsächliche Lage nicht mit der sich aus dem Vertragstext ergebenden Lage übereinstimmt, und zwar auch dann, wenn die Weisungsbefugnis diesem anderen Unternehmen nicht formal übertragen worden ist.

Art 34. Nr. 4 EuGVVO und unvereinbare Entscheidungen aus demselben Staat

Vorabentscheidungsersuchen des BGH (Deutschland) an den EuGH vom 8.3.2012 – IX ZB 144/10

Erfasst Art 34. Nr. 4 EuGVVO auch den Fall unvereinbarer Entscheidungen aus demselben Mitgliedstaat?

Anwendungsbereich von Art. 27 und Art. 28 EuGVVO

Vorabentscheidungsersuchen des OLG München (Deutschland) an den EuGH vom 16.2.2012 – 21 W 1098/11

1. Erstreckt sich der Anwendungsbereich von Art. 27 EuGVVO auch auf Fallkonstellationen, bei denen zwei Parteien in dem einem Rechtsstreit jeweils die Parteirolle als Beklagte innehaben, weil beide Parteien von einem Dritten mit einer Klage überzogen wurden, und in dem anderen Rechtsstreit die Parteirollen als Kläger und Beklagter einnehmen? Handelt es sich bei einer solchen Fallkonstellation um einen Rechtsstreit – zwischen denselben Parteien – oder sind die verschiedenen in dem einen Verfahren vom Kläger gegen die beiden Beklagten geltend gemachten Anträge getrennt zu prüfen mit der Folge, dass nicht von einem Rechtsstreit – zwischen denselben Parteien – auszugehen ist?

2. Liegt eine Klage wegen – desselben Anspruchs- im Sinne von Art. 27 EuGVVO vor, wenn die Klageanträge und die Klagebegründungen in beiden Verfahren zwar unterschiedlich sind, aber

a) für die Entscheidung beider Verfahren jeweils dieselbe Vorfrage gelöst werden muss oder

b) in einem Verfahren im Rahmen eines Hilfsantrages Feststellung zu einem Rechtsverhältnis begehrt wird, das in dem anderen Verfahren als Vorfrage eine Rolle spielt?

3. Handelt es sich um eine Klage, welche im Sinne von Art. 22 Abs. 1 EuGVVO ein dingliches Recht an einer unbeweglichen Sache zum Gegenstand hat, wenn die Feststellung beantragt wird, der Beklagte habe sein unstreitig nach deutschem Recht bestehendes dingliches Vorkaufsrecht an einem in Deutschland belegenen Grundstück nicht wirksam ausgeübt?

4. Ist das später angerufene Gericht im Rahmen seiner Entscheidung nach Art. 27 Abs. 1 EuGVVO und damit noch vor einer Entscheidung der Zuständigkeitsfrage durch das zuerst angerufene Gericht gehalten zu prüfen, ob das zuerst angerufene Gericht wegen Art. 22 Abs. 1 EuGVVO unzuständig ist, weil eine derartige Unzuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts nach Art. 35 Abs. 1 EuGVVO dazu führen würde, dass eine etwaige Entscheidung des zuerst angerufenen Gerichts nicht anerkannt wird? Ist Art. 27 Abs. 1 EuGVVO für das später angerufene Gericht unanwendbar, wenn das später angerufene Gericht zu der Meinung gelangt, dass das zuerst angerufene Gericht wegen Art. 22 Abs. 1 EuGVVO unzuständig ist?

5. Ist das später angerufene Gericht im Rahmen seiner Entscheidung nach Art. 27 Abs. 1 EuGVVO und damit noch vor einer Entscheidung der Zuständigkeitsfrage durch das zuerst angerufene Gericht gehalten, den Vorwurf einer Partei zu prüfen, die andere habe durch Anrufung des zuerst angerufenen Gerichts rechtsmissbräuchlich gehandelt? Ist Art. 27 Abs. 1 EuGVVO für das später angerufene Gericht unanwendbar, wenn das später angerufene Gericht zu der Meinung gelangt, dass die Anrufung des zuerst angerufenen Gerichts rechtsmissbräuchlich erfolgt ist?

6. Setzt die Anwendung von Art. 28 Abs. 1 EuGVVO voraus, dass das später angerufene Gericht zuvor entschieden hat, dass im konkreten Fall Art. 27 EuGVVO keine Anwendung findet?

7. Darf im Rahmen der Ausübung des Ermessens, das durch Art. 28 Abs. 1 EuGVVO eingeräumt wird, berücksichtigt werden,

a) dass das zuerst angerufene Gericht in einem Mitgliedstaat ansässig ist, in dem Verfahren statistisch gesehen erheblich länger dauern als in dem Mitgliedstaat, in dem das später angerufene Gericht ansässig ist,

b) dass nach Einschätzung des später angerufenen Gerichts das Recht des Mitgliedstaates anzuwenden ist, in dem das später angerufene Gericht ansässig ist,

c) das Alter einer Partei,

d) die Erfolgsaussichten der Klage vor dem zuerst angerufenen Gericht?

8. Ist bei Auslegung und Anwendung der Art. 27, 28 EuGVVO außer dem Zweck, unvereinbare bzw. widersprechende Entscheidungen zu vermeiden, auch der Justizgewährungsanspruch des Zweitklägers zu berücksichtigen?

Verbrauchersache i.S.v. Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO

Vorabentscheidungsersuchen des BGH (Deutschland) an den EuGH vom 1.2.2012 – Rs. C-98/12 – Slot

1. Liegt eine Verbrauchersache i.S.v. Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO vor, wenn ein Gewerbetreibender durch die Gestaltung seiner Website seine Tätigkeit auf einen anderen Mitgliedstaat ausgerichtet hat und sich ein Verbraucher mit Wohnsitz im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats aufgrund der Informationen auf der Website des Gewerbetreibenden zu dessen Geschäftssitz begibt und die Vertragsparteien dort den Vertrag unterzeichnen oder setzt Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO in diesem Fall einen Vertragsschluss mit Mitteln des Fernabsatzes voraus?

2. Falls Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO dahingehend auszulegen ist, dass in diesem Fall der Vertragsschluss grundsätzlich mit Mitteln des Fernabsatzes erfolgen muss: Ist der Verbrauchergerichtsstand nach Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO i.V.m. Art. 16 Abs. 2 EuGVVO gegeben, wenn die Vertragspartner mit Mitteln des Fernabsatzes eine vorvertragliche Bindung eingehen, die später unmittelbar in den Vertragsschluss mündet?

Art. 2 EuGVVO und belgischer Lizenzgerichtsstand

Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal de commerce de Verviers (Belgien) an den EuGH vom 6.1.2012 – Rs. C-9/12 – Corman-Collins SA ./. La Maison du Whisky SA

1. Ist Art. 2 EuGVVO, gegebenenfalls in Verbindung mit Art. 5 lit. a oder b EuGVVO, dahin auszulegen, dass er einer Zuständigkeitsnorm wie der in Art. 4 des belgischen Gesetzes vom 27.7.1961 entgegensteht, die für den Fall, dass der Vertragshändler in Belgien ansässig ist und die Lizenz ihre Wirkung vollständig oder teilweise in Belgien entfaltet, unabhängig vom Ort der Niederlassung des Lizenzgebers die Zuständigkeit der belgischen Gerichte vorsieht, wenn der Lizenzgeber Beklagter ist?

2. Ist Art. 5 Abs. 1 lit. a EuGVVO dahin auszulegen, dass er auf einen Vertriebsvertrag über bewegliche Sachen anwendbar ist, aufgrund dessen eine Partei von der anderen Produkte erwirbt, um diese im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedsstaats zu verkaufen?

3. Falls diese Frage verneint wird: Ist Art. 5 Abs. 1 lit. b EuGVVO dahin auszulegen, dass er auf einen Vertriebsvertrag wie den vorliegend zwischen den Parteien geschlossenen anwendbar ist?

4. Falls die beiden vorstehenden Fragen verneint werden: Ist die streitige Verpflichtung im Falle der Kündigung eines Vertriebsvertrags eine Verpflichtung des Verkäufers/Lizenzgebers oder des Käufers/Vertragshändlers?

Rückforderung einer ohne Rechtsgrund geleisteten Zahlung

Vorabentscheidungsersuchen des BGH (Deutschland) an den EuGH vom 16.12.2011 – Rs. C-645/11 – Land Berlin ./. Ellen Mirjam Sapir

1. Ist die Rückforderung einer ohne Rechtsgrund geleisteten Zahlung auch dann eine Zivilsache im Sinne von Art. 1 Abs. 1 EuGVVO, wenn ein Bundesland durch eine Behörde angewiesen wird, zur Wiedergutmachung einen Teil des Erlöses aus einem Grundstückskaufvertrag an den Geschädigten auszuzahlen, stattdessen aber versehentlich den ganzen Kaufpreis an diesen überweist?

2. Besteht die nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO erforderliche enge Beziehung mehrerer Klagen auch, wenn sich die Beklagten auf weitergehende Wiedergutmachungsansprüche berufen, über die nur einheitlich entschieden werden kann?

3. Ist Art. 6 Nr. 1 EuGVVO auch auf Beklagte anwendbar, die ihren Wohnsitz nicht in der Europäischen Union haben? Wenn ja: Gilt das auch, wenn dem Urteil im Wohnsitzstaat des Beklagten nach bilateralen Abkommen mit dem Entscheidungsstaat die Anerkennung mangels Zuständigkeit versagt werden könnte?

Art. 28 EuGVVO und Drei-Verfahrenskonstellation

Vorabentscheidungsersuchen des High Court of Ireland (Irland) an den EuGH vom 9.12.2011 – Rs. C-634/11 – Anglo Irish Bank Corporation Ltd ./. Quinn Investments Sweden AB

1. Das hier in Rede stehende Vorabentscheidungsersuchen betrifft Art. 28 EuGVVO und das Vorgehen eines nationalen Gerichts (im Folgenden: Gerichte in Staat A) bei der Entscheidung über eine gemäß Art. 28 erhobene Rüge in Bezug auf die Zuständigkeit dieses Gerichts für die Verhandlung und Entscheidung eines Verfahrens (im Folgenden: drittes Verfahren) in Fällen,

a) in denen die Gerichte in Staat A zuerst in einem Verfahren (im Folgenden: erstes Verfahren) angerufen wurden, das potenziell mit einem anderen Verfahren (im Folgenden: zweites Verfahren) im Zusammenhang steht, das vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats (im Folgenden: Staat B) eingeleitet wurde, und

b) in denen die Gerichte in Staat A ferner in einem Verfahren (dem dritten Verfahren) angerufen wurden, das potenziell mit dem zweiten Verfahren im Zusammenhang steht, und

c) in denen die Zuständigkeit der Gerichte in Staat A für die Verhandlung und Entscheidung des dritten Verfahrens nach Art. 28 der EuGVVO mit der Begründung in Abrede gestellt wird, dass das zweite (vor den Gerichten in Staat B anhängige) Verfahren und das dritte (vor den Gerichten in Staat A anhängige) Verfahren miteinander im Sinne des Art. 28 im Zusammenhang stünden.

2. Im Einzelnen wird der Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) ersucht, über folgende Fragen zu entscheiden:

(1.) Müssen die Gerichte in Staat A die Entscheidung der Gerichte in Staat B über einen zu erwartenden Antrag, der die Frage betrifft, ob die Gerichte in Staat B das zweite Verfahren gemäß Art. 28 EuGVVOaussetzen oder einstellen sollten, abwarten, bevor die Gerichte in Staat A über die Aussetzung oder Einstellung des dritten Verfahrens entscheiden?

(2.) Sofern die Gerichte in Staat A die Entscheidung der Gerichte in Staat B über einen zu erwartenden Antrag, der die Frage betrifft, ob die Gerichte in Staat B das zweite Verfahren gemäß Art. 28 derEuGVVO aussetzen oder einstellen sollten, nicht abwarten müssen, bevor die Gerichte in Staat A über die Aussetzung oder Einstellung des dritten Verfahrens entscheiden, sind dann die Gerichte in Staat A berechtigt, bei ihrer Entscheidung über die Aussetzung oder Einstellung des dritten Verfahrens zu berücksichtigen, dass das erste Verfahren anhängig ist?

(3.) Falls die Gerichte in Staat B entscheiden, dass sie für das zweite Verfahren zuständig sind, sind dann die Gerichte in Staat A berechtigt, bei ihrer Entscheidung über die Aussetzung oder Einstellung des dritten Verfahrens gemäß Art. 28 der EuGVVO zu berücksichtigen, dass das erste Verfahren anhängig ist?

(4.) Handelt es sich bei der Tatsache, dass die Klägerin des dritten Verfahrens ihre in diesem Verfahren verfolgten Ansprüche bereits im ersten Verfahren im Wege der Widerklage hätte geltend machen können (aber nicht geltend gemacht hat), um einen relevanten Faktor und, wenn ja, welche Erwägungen sollten die Gerichte in Staat A diesem Faktor bei ihrer Entscheidung darüber anstellen, ob sie sich gemäß Art. 28 der EuGVVO in Bezug auf das dritte Verfahren für unzuständig erklären oder dieses aussetzen sollen?

Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens

BGH 8.3.2012 – IX ZB 178/11

Für die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens ist ohne Rücksicht auf den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen allein maßgeblich, ob der Schuldner eine inländische Niederlassung hat.

Zeichenrechtlich relevante Verletzungshandlung

BGH 8.3.2012 – I ZR 75/10

Ob eine zeichenrechtlich relevante Verletzungshandlung im Inland vorliegt, hängt davon ab, ob das Angebot einen hinreichenden wirtschaftlichrelevanten Inlandsbezug („commercial effect“) aufweist. Dabei ist eine Gesamtabwägung vorzunehmen, bei der auf der einen Seite zu berücksichtigen ist, wie groß die Auswirkungen der Kennzeichenbenutzung auf die inländischen wirtschaftlichen Interessen des Zeicheninhabers sind. Auf der anderen Seite ist maßgebend, ob und inwieweit die Rechtsverletzung sich als unvermeidbare Begleiterscheinung technischer oder organisatorischer Sachverhalte darstellt, auf die der Inanspruchgenommene keinen Einfluss hat oder ob dieser etwa – zum Beispiel durch die Schaffung von Bestellmöglichkeiten aus dem Inland oder die Lieferung auch ins Inland – zielgerichtet von der inländischen Erreichbarkeit profitiert.

Internationale Zuständigkeit bei der Inanspruchnahme schweizerischer Vermögensverwaltungsgesellschaften

BGH 6.3.2012 – VI ZR 70/10

Zur internationalen Zuständigkeit bei der Inanspruchnahme schweizerischer Vermögensverwaltungsgesellschaften und einer schweizerischen Bank.

Anerkennung eines Scheme of Arrangement

BGH 15.2.2012 – IV ZR 194/09

1. Der Anerkennung eines gerichtlich genehmigten Vergleichsplans nach englischem Gesellschaftsrecht („Scheme of Arrangement“), der eine Lebensversicherung betrifft, stehen jedenfalls die Vorschriften über die Zuständigkeit in Versicherungssachen gemäß Art. 8, 12 Abs. 1, 35 EuGVVO entgegen.

2. Die Verjährung eines auf das negative Interesse gerichteten Schadensersatzanspruchs aus vorvertraglichem Verschulden richtet sich nicht nach § 12 Abs. 1 VVG a.F., sondern nach den §§ 195, 199 BGB.

(Mitgeteilt von RA Dirk Otto, Frankfurt a.M.)

§ 148 ZPO bei anderweitig anhängigem Vorabentscheidungsersuchen

BGH 24.1.2012 – VIII ZR 236/10

1. Die Aussetzung des Verfahrens ist in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO auch ohne gleichzeitiges Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union grundsätzlich zulässig, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von der Beantwortung derselben Frage abhängt, die bereits in einem anderen Rechtsstreit dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV vorgelegt wurde.

2. Eine Aussetzung nach § 148 ZPO (analog) ist auch im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren.

Scheidungsakzessorischer Statuswechsel

BGH 23.11.2011 – XII ZR 78/11

1. Zum anwendbaren Statut im Fall des sog. scheidungsakzessorischen Statuswechsels nach § 1599 Abs. 2 BGB.

2. Das auf eine gegebenenfalls bereits bestehende Vaterschaft anwendbare Recht wird nach Art. 20 EGBGB analog bestimmt, wenn diese Vaterschaft durch Anerkennung der biologischen Vaterschaft nach § 1599 Abs. 2 BGB beseitigt wird.

Eintragungsersuchen des englischen Treuhänders („trustee“)

OLG Düsseldorf 2.3.2012 – I-3 Wx 329/11, 3 Wx 329/11

1. Das Grundbuchamt muss bei entsprechendem Anlass (Ersuchen des britischen Insolvenzverwalters um Eintragung des Insolvenzvermerks und zu besorgender Übergang der Verfügungsbefugnis auf den „trustee“) von Amts wegen prüfen, ob der die Eintragung Bewilligende zur Verfügung über das betroffene Grundbuchrecht befugt ist.

2. Die die Bewilligung ersetzende Wirkung eines rechtskräftigen Urteils wird wegen der auch vom Grundbuchamt zu beachtenden Rechtsvermutung des § 891 BGB durch bloße Zweifel des Grundbuchamts am Bestand bzw. Fortbestand der Verfügungsbefugnis des eingetragenen Eigentümers mit Blick auf ein in England über sein Vermögen eröffnetes Insolvenzverfahren nicht überwunden; sie ist nur widerlegt, wenn dem Grundbuchamt die Unrichtigkeit des Grundbuchs zweifelsfrei belegende Tatsachen bekannt oder nachgewiesen sind.

3. Über das Eintragungsersuchen des englischen Treuhänders („trustee“) hat nicht das Grundbuchamt, sondern das Insolvenzgericht zu entscheiden, dem allein die gesamte Prüfung der kollisions- und insolvenzrechtlichen Voraussetzungen des beantragten Insolvenzvermerks, namentlich der Einordnung und Anerkennungsfähigkeit des ausländischen Verfahrens sowie der Auswirkungen auf die Verfügungsbefugnis des Schuldners, obliegt.

Vollstreckbarerklärung einer Third Party Costs Order

OLG Düsseldorf 1.3.2012 – I-3 W 104/11

Zu den Voraussetzungen der Vollstreckbarerklärung einer britischen Entscheidung für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland - zur „Third Party Costs Order“ des High Court Of Justice in London als Annex zu der abgewiesenen Klage gegen einen britischen Insolvenzverwalter (trustee) auf Freigabe eines angeblich nicht zur Insolvenzmasse gehörenden beschlagnahmten Gegenstands (hier: Bargeld) bzw. einer wertgleichen Bereicherung aus der Masse).

Verrechnungsvereinbarungen über gegenseitige Forderungen

OLG Oldenburg 28.2.2012 – 13 U 67/10

1. Zu der Befugnis eines in Deutschland ansässigen Käufers zur Aufrechnung mit Gegenforderungen gegen den slowakischen Verkäufer, wenn dessen Forderung an eine slowakische Factoring-Gesellschaft abgetreten wurde.

2. Zu dem gemäß Art. 27 f. EGBGB anwendbaren Recht bei einer wechselseitigen Lieferbeziehung, in der regelmäßig Verrechnungsvereinbarungen über die gegenseitigen Forderungen getroffen werden.

(Mitgeteilt vom 13. Zivilsenat OLG Oldenburg)

Vollstreckbarkerklärung eines tschechischen Unterhaltsurteils

OLG Stuttgart 13.2.2012 – 17 UF 331/11

Zur Vollstreckbarkerklärung eines tschechischen Unterhaltsurteils. Die EuUnterhVO ist im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung auch auf Alttitel anzuwenden, wenn der verfahrenseinleitende Antrag nach dem 18.6.2011 gestellt wird. Zur Feststellung der Vaterschaft ohne Einholung eines serologischen Abstammungsgutachtens.

(Mitgeteilt von RiKG Dr. P. Sdorra, Berlin)

Fiktive Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks

OLG Düsseldorf 3.2.2012 – I-3 W 191/11

Zur Frage der Rechtzeitigkeit einer nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaats (hier: Polen) ordnungsgemäßen fiktiven Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks nach dem Luganer Übereinkommen, wenn der Zustellungsempfänger die Wohnung zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen hatte.

Urheberrechtsverletzungen

OLG München 2.2.2012 – 29 U 3538/11

Zur internationalen Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO bei Urheberrechtsverletzungen im Internet.

(Mitgeteilt von RiOLG Ulrich Kartzke, München)

Intertemporales neues internationales Unterhaltsrecht

OLG München 12.1.2012 – 12 UF 48/12

Das Haager Unterhaltsprotokoll 2007 findet nicht auf Unterhaltsansprüche Anwendung, die für einen Zeitraum vor Inkrafttreten des Protokolls am 18.6.2011 verlangt werden. Daher findet das Exequaturverfahren nach Art. 23 ff EuUntVO weiterhin für bis zum 18.6.2011 entstandene Unterhaltsansprüche statt. Für Ansprüche, die danach entstanden sind oder noch entstehen, entfällt das Exequaturverfahren, so dass aus dem Titel unmittelbar vollstreckt werden kann.

§ 28 AUG und Zuständigkeitskonzentration

OLG Frankfurt a.M. 11.1.2012 – 1 UFH 43/11

Für isolierte Unterhaltsverfahren, in denen sich die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte aus Art. 3 lit. a oder b EuUntVO herleitet, bestimmt § 28 AUG (2011) eine Zuständigkeitskonzentration, soweit einer der Verfahrensbeteiligten seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat. Nach dieser Bestimmung hat in solchen isolierten Unterhaltsverfahren ausschließlich das Gericht zu entscheiden, das für den Sitz des Oberlandesgerichts, in dessen Bezirk der im Inland lebende Beteiligte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zuständig ist. In Verfahren, die den Unterhalt eines minderjährigen Kindes zum Gegenstand haben, führt diese Konzentrationszuständigkeit dazu, dass den im Inland lebenden Kindern die Vergünstigung, das Verfahren an dem für ihren gewöhnlichen Aufenthalt zuständigen Gericht führen zu können, verloren geht.

Sittenwidrigkeit von Schenkkreisen

OGH 13.12.2011 – 5 Ob 162/11a

1. Zur Ermittlung fremden Rechts von Amts wegen gem. §§ 3, 4 öster. IPRG.

2. Zur Sittenwidrigkeit von Schenkkreisen, insbesondere zur Kondiktionssperre des § 817 S. 2 BGB bei Darlehensgewährungen im Rahmen des Spiels.

(Mitgeteilt von em.o.Univ.-Prof.Dr.h.c.Dr. Hans Hoyer)

Klagezustellung via facebook

In einem Verfahren vor dem englischen High Court soll Justice Nigel Teare eine Klagezustellung via facebook zugelassen haben, da weder der aktuelle Wohnort des Beklagten noch dessen Emailadresse bekannt gewesen sei. Die Anwälte der Kläger hätten zuvor recherchiert, dass der account des Beklagten noch aktiv gewesen sei. Ihm sei eine Frist eingeräumt worden für den Fall, dass er seinen Zugang nicht regelmäßig überprüft.

Veranstaltungshinweise

  • Am 1.6.2012 veranstaltet das Institut für Zivilrecht, Ausländisches und Internationales Privatrechtder Universität Graz eine Tagung zu dem Thema „Die neue Verbraucherrechte-Richtlinie: Fortschritt für die EU-BürgerInnen oder alte Rechte neu verpackt?“. Es werden Hon.-Prof. Dr. Johannes Stabentheiner (BMJ), MMag. Verena Cap (BMJ), Univ.-Prof. Dr. Brigitta Lurger (Uni Graz), o.Univ.-Prof. Dr. Peter Bydlinski (Uni Graz) und Ass.-Prof. Dr. Peter Schwarzenegger (Uni Graz) referieren. Anmeldung und weitere Informationen unter: http://www.uni-graz.at/brewww/brewww_dialog.htm.

  • Am 29./30.6.2012 richtet die Universität Bayreuth unter der Leitung von Prof. Dr. Stefan Leible und Prof. Dr. Hannes Unberath, M.Jur. ein Symposium zu dem Thema „Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung? Überlegungen zu einem Allgemeinen Teil des europäischen IPR“ aus. Die Veranstaltung ist durch die Fritz Thyssen Stiftung für Wirtschaftsförderung finanziert und daher kostenfrei. Um eine rechtzeitige Anmeldung wird aber gebeten. Weitere Informationen unter: http://www.ipr.uni-bayreuth.de/de/Flyer_Rom_0_2012.pdf.

Stand: 15.05.2012