IPRax-Heft 2016,5
Neueste Informationen IPRax 5/2016
Verstärkte Zusammenarbeit: Neue Verordnungen zum Internationalen Ehegüterrecht und dem internationalen Privatrecht der vermögensrechtlichen Folgen eingetragener Partnerschaften
Am 8.7.2016 wurden im Europäischen Amtsblatt (ABl. EU 2016, L 183/1 und L 183/30) zwei Verordnungen zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands (VO 2016/1103) und in Fragen güterrechtlicher Wirkungen eingetragener Partnerschaften (VO 2016/1104) veröffentlicht. Sie sind ab dem 29.1.2019 anwendbar. Der Beschluss (EU) 2016/954 des Rates vom 9. Juni 2016 zur Ermächtigung zu einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen der Güterstände internationaler Paare (eheliche Güterstände und vermögensrechtliche Folgen eingetragener Partnerschaften) ermächtigt das Königreich Belgien, die Republik Bulgarien, die Tschechische Republik, die Bundesrepublik Deutschland, die Hellenische Republik, das Königreich Spanien, die Französische Republik, die Republik Kroatien, die Italienische Republik, die Republik Zypern, das Großherzogtum Luxemburg, Malta, das Königreich der Niederlande, die Republik Österreich, die Portugiesische Republik, die Republik Slowenien, die Republik Finnland und das Königreich Schweden, untereinander eine Verstärkte Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen der Güterstände internationaler Paare (eheliche Güterstände und vermögensrechtliche Folgen eingetragener Partnerschaften) zu begründen.
Vorschlag zur Novellierung der EuEheVO
Die Europäische Kommission hat am 30.6.2016 einen Vorschlag zur Novellierung der EuEheVO veröffentlicht. Sie soll u.a. für effizientere Verfahren in Fällen grenzüberschreitender Kindesentführung und eine Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den Behörden sorgen. Darüber hinaus soll die Vollstreckung von Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten beschleunigt werden. Der Vorschlagstext ist abrufbar unter https://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/1/2016/DE/1-2016-411-DE-F1-1.PDF.
Art. 8 EGBGB-Entwurf: Internationales Vertretungsrecht
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat am 1.8.2016 den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften im Bereich des Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts vorgelegt. Davon sind u.a. die Vorschriften über die Auslandszustellung in der ZPO betroffen. Daneben soll das EGBGB um eine Vorschrift zum anwendbaren Recht bei der gewillkürten Stellvertretung ergänzt werden. Der Entwurf ist abrufbar unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/internationales_Privat_und_Zivilverfahrensrecht.html. Der Normvorschlag lautet:
Art. 8 EGBGB-Entwurf
„Artikel 8
Gewillkürte Stellvertretung
(1) Auf die gewillkürte Stellvertretung ist das vom Vollmachtgeber vor der Ausübung der Vollmacht gewählte Recht anzuwenden, wenn die Rechtswahl dem Dritten und dem Bevollmächtigten bekannt ist. Der Vollmachtgeber, der Bevollmächtigte und der Dritte können das anzuwendende Recht jederzeit wählen. Die Wahl nach Satz 2 geht derjenigen nach Satz 1 vor.
(2) Ist keine Rechtswahl nach Absatz 1 getroffen worden und handelt der Bevollmächtigte in Ausübung seiner unternehmerischen Tätigkeit, so sind die Sachvorschriften des Staates anzuwenden, in dem der Bevollmächtigte im Zeitpunkt der Ausübung der Vollmacht seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, es sei denn, dieser Ort ist für den Dritten nicht erkennbar.
(3) Ist keine Rechtswahl nach Absatz 1 getroffen worden und handelt der Bevollmächtigte als Arbeitnehmer des Vollmachtgebers, so sind die Sachvorschriften des Staates anzuwenden, in dem der Vollmachtgeber im Zeitpunkt der Ausübung der Vollmacht seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, es sei denn, dieser Ort ist für den Dritten nicht erkennbar.
(4) Ist keine Rechtswahl nach Absatz 1 getroffen worden und handelt der Bevollmächtigte weder in Ausübung seiner unternehmerischen Tätigkeit noch als Arbeitnehmer des Vollmachtgebers, so sind im Falle einer auf Dauer angelegten Vollmacht die Sachvorschriften des Staates anzuwenden, in dem der Bevollmächtigte von der Vollmacht gewöhnlich Gebrauch macht, es sei denn, dieser Ort ist für den Dritten nicht erkennbar.
(5) Ergibt sich das anzuwendende Recht nicht aus den Absätzen 1 bis 4, so sind die Sachvorschriften des Staates anzuwenden, in dem der Bevollmächtigte von seiner Vollmacht im Einzelfall Gebrauch macht (Gebrauchsort). Mussten der Dritte und der Bevollmächtigte wissen, dass von der Vollmacht nur in einem bestimmten Staat Gebrauch gemacht werden sollte, so sind die Sachvorschriften dieses Staates anzuwenden. Ist der Gebrauchsort für den Dritten nicht erkennbar, so sind die Sachvorschriften des Staates anzuwenden, in dem der Vollmachtgeber seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
(6) Auf die gewillkürte Stellvertretung bei Verfügungen über Grundstücke oder Rechte an Grundstücken ist das nach Artikel 43 Absatz 1 und Artikel 46 zu bestimmende Recht anzuwenden.
(7) Dieser Artikel findet keine Anwendung auf die gewillkürte Stellvertretung bei Börsengeschäften und Versteigerungen.
(8) Auf die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne dieses Artikels ist Artikel 19 Absatz 1 und Absatz 2 erste Alternative der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle des Vertragsschlusses die Ausübung der Vollmacht tritt. Artikel 19 Absatz 2 erste Alternative der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 ist nicht anzuwenden, wenn der nach dieser Vorschrift maßgebende Ort für den Dritten nicht erkennbar ist.“
Griechischer Schuldenschnitt I: Eigentumsgarantie
EGMR 21.7.2016 – 63066/14, 64297/14, 66106/14 – Mamatas u.a. ./. Griechenland
Zur Rechtfertigung des Eingriffs in die Eigentumsfreiheit im Rahmen des Erlasses griechischer Staatsschulden.
IPR der Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen: Kontrolle von Rechtswahlklauseln/Internationaler Datenschutz
EuGH 28.7.2016 – Rs. C-191/15 – Verein für Konsumenteninformation ./. Amazon EU Sàrl
1. Die Rom I-VO und Rom II-VO sind dahin auszulegen, dass unbeschadet des Art. 1 Abs. 3 beider Verordnungen das auf eine Unterlassungsklage im Sinne der Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.4.2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, die sich gegen die Verwendung vermeintlich unzulässiger Vertragsklauseln durch ein in einem Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen richtet, das im elektronischen Geschäftsverkehr Verträge mit Verbrauchern abschließt, die in anderen Mitgliedstaaten, insbesondere im Staat des angerufenen Gerichts, ansässig sind, anzuwendende Recht nach Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO zu bestimmen ist, während das bei der Beurteilung einer bestimmten Vertragsklausel anzuwendende Recht stets anhand der Rom I-VO zu bestimmen ist, unabhängig davon, ob diese Beurteilung im Rahmen einer Individualklage oder einer Verbandsklage vorgenommen wird.
2. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass eine in allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Gewerbetreibenden enthaltene Klausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde und nach der auf einen auf elektronischem Weg mit einem Verbraucher geschlossenen Vertrag das Recht des Mitgliedstaats anzuwenden ist, in dem der Gewerbetreibende seinen Sitz hat, missbräuchlich ist, sofern sie den Verbraucher in die Irre führt, indem sie ihm den Eindruck vermittelt, auf den Vertrag sei nur das Recht dieses Mitgliedstaats anwendbar, ohne ihn darüber zu unterrichten, dass er nach Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO auch den Schutz der zwingenden Bestimmungen des Rechts genießt, das ohne diese Klausel anzuwenden wäre; dies hat das nationale Gericht im Licht aller relevanten Umstände zu prüfen.
3. Art. 4 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.10.1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr ist dahin auszulegen, dass eine Verarbeitung personenbezogener Daten durch ein im elektronischen Geschäftsverkehr tätiges Unternehmen dem Recht jenes Mitgliedstaats unterliegt, auf den das Unternehmen seine Geschäftstätigkeit ausrichtet, wenn sich zeigt, dass das Unternehmen die fragliche Datenverarbeitung im Rahmen der Tätigkeiten einer Niederlassung vornimmt, die sich in diesem Mitgliedstaat befindet. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob dies der Fall ist.
Art. 1 EuGVVO: Rückzahlung einer wettbewerbsrechtlichen Geldbuße
EuGH 28.7.2016 – Rs. C-102/15 – Gazdasági Versenyhivatal ./. Siemens Aktiengesellschaft Österreich
Eine Klage wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende auf Herausgabe wegen ungerechtfertigter Bereicherung, die ihren Ursprung in der Rückzahlung einer in einem wettbewerbsrechtlichen Verfahren verhängten Geldbuße hat, stellt keine „Zivil- und Handelssache“ im Sinne von Art. 1 EuGVVO 2001 dar.
Rechtsquellenkonflikte: EuGVVO und Benelux-Abkommen über geistiges Eigentum
EuGH 14.7.2016 – Rs. C-230/15 – Brite Strike Technologies Inc. ./. Brite Strike Technologies SA
Art. 71 EuGVVO 2001 untersagt unter Berücksichtigung von Art. 350 AEUV nicht, die in Art. 4.6 des Benelux-Übereinkommens über geistiges Eigentum (Marken und Muster oder Modelle) vom 25.2.2005, unterzeichnet in Den Haag von dem Königreich Belgien, dem Großherzogtum Luxemburg und dem Königreich der Niederlande, enthaltene Regel über die gerichtliche Zuständigkeit für Rechtsstreitigkeiten in Bezug auf Benelux-Marken, -Muster und -Modelle auf diese Rechtsstreitigkeiten anzuwenden.
Art. 5 Nr. 1 und 3 EuGVVO 2001: Schadensersatzklage wegen plötzlichen Abbruchs von Geschäftsbeziehungen (Art. L. 442-6 franz. Code de commerce)
EuGH 14.7.2016 – Rs. C-196/15 – Granarolo SpA ./. Ambrosi Emmi France SA
1. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO 2001 ist dahin auszulegen, dass eine Schadensersatzklage wegen plötzlichen Abbruchs langjähriger Geschäftsbeziehungen wie die Klage im Ausgangsverfahren nicht „eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung“ im Sinne dieser Verordnung betrifft, wenn zwischen den Parteien eine stillschweigende vertragliche Beziehung bestand, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. Der Nachweis des Vorliegens einer solchen stillschweigenden vertraglichen Beziehung muss auf einem Bündel übereinstimmender Indizien beruhen, zu denen u.a. das Bestehen langjähriger Geschäftsbeziehungen, Treu und Glauben zwischen den Parteien, die Regelmäßigkeit der Transaktionen und deren in Menge und Wert ausgedrückte langfristige Entwicklung, etwaige Absprachen zu den in Rechnung gestellten Preisen und/oder zu den gewährten Rabatten sowie die ausgetauschte Korrespondenz gehören können.
2. Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVVO 2001 ist dahin auszulegen, dass langjährige Geschäftsbeziehungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden als „Vertrag über den Verkauf beweglicher Sachen“ einzustufen sind, wenn die charakteristische Verpflichtung des fraglichen Vertrags die Lieferung eines Gegenstands ist, und als „Vertrag über eine Erbringung von Dienstleistungen“, wenn diese Verpflichtung die Bereitstellung von Dienstleistungen ist, was festzustellen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
Art. 19 Abs. 4 EuZustVO und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
EuGH 7.7.2016 – Rs. C-70/15 – Emmanuel Lebek ./. Janusz Domino
1. Der Begriff „Rechtsbehelf“ in Art. 34 Nr. 2 EuGVVO 2001 ist dahin auszulegen, dass er auch den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand umfasst, wenn die Frist für die Einlegung eines ordentlichen Rechtsbehelfs abgelaufen ist.
2. Art. 19 Abs. 4 letzter Unterabsatz EuZustVO ist dahin auszulegen, dass er die Anwendung der Bestimmungen des nationalen Rechts über die Regelung in Bezug auf Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließt, wenn die Frist abgelaufen ist, innerhalb deren solche Anträge nach der Mitteilung eines Mitgliedstaats, auf die Art. 19 Abs. 4 letzter Unterabsatz EuZustVO verweist, zulässig sind.
Art. 23 Abs. 1 EuGVVO 2001 und Allgemeine Beschaffungsbedingungen
EuGH 7.7.2016 – Rs. C-222/15 – Hőszig Kft. ./. Alstom Power Thermal Services
Art. 23 Abs. 1 EuGVVO 2001 ist dahin auszulegen, dass eine Gerichtsstandsklausel wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die in den Allgemeinen Beschaffungsbedingungen des Auftraggebers – die in den Dokumenten, in denen die Verträge zwischen den Parteien niedergelegt sind, erwähnt werden und beim Abschluss der Verträge übermittelt worden sind – geregelt ist und als zuständige Gerichte diejenigen einer Stadt in einem Mitgliedstaat benennt, den Anforderungen dieser Vorschrift in Bezug auf die Einigung der Parteien und die inhaltliche Genauigkeit einer solchen Klausel genügt.
Art. 5 Nr. 3 EuGVVO 2001 bei reinem Vermögensschaden
EuGH 16.6.2016 – Rs. C-12/15 – Universal Music International Holding BV ./. Michael Tétreault Schilling, Irwin Schwartz, Josef Brož
1. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO 2001 ist dahin auszulegen, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, als „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, in Ermangelung anderer Anknüpfungspunkte nicht der Ort in einem Mitgliedstaat angesehen werden kann, an dem ein Schaden eingetreten ist, wenn dieser Schaden ausschließlich in einem finanziellen Verlust besteht, der sich unmittelbar auf dem Bankkonto des Klägers verwirklicht und der die unmittelbare Folge eines unerlaubten Verhaltens ist, das sich in einem anderen Mitgliedstaat ereignet hat.
2. Das mit einem Rechtsstreit befasste Gericht hat bei der Zuständigkeitsprüfung nach der EuGVVO 2001 alle ihm vorliegenden Informationen zu würdigen, wozu gegebenenfalls auch die Einwände des Beklagten gehören.
Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 lit. b EuVTVO: Voraussetzungen der unbestrittenen Forderung
EuGH 16.6.2016 – Rs. C-511/14 – Pebros Servizi Srl ./. Aston Martin Lagonda Ltd
Die Voraussetzungen, unter denen im Fall eines Versäumnisurteils eine Forderung als „unbestritten“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 lit. b EuVTVO gilt, sind autonom, allein anhand dieser Verordnung, zu bestimmen.
Art. 8 Nr. 4, Art. 24 Nr. 1 EuGVVO: Schenkungsaufhebung und Grundbuchlöschung
Schlussanträge der Generalanwältin Juliane Kokott vom 7.7.2016 – Rs. C-417/15 – Wolfgang Schmidt ./. Christiane Schmidt
1. Ein Antrag auf Aufhebung eines Schenkungsvertrags über eine unbewegliche Sache wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende fällt nicht unter Art. 24 Nr. 1 EuGVVO. Ein Antrag auf Löschung des Eigentumsrechts des Beschenkten im Grundbuch fällt hingegen unter diese Bestimmung.
2. In einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens können beide Anträge nach Art. 8 Nr. 4 EuGVVO vor dem nach Art. 24 Nr. 1 zuständigen Gericht miteinander verbunden werden.
Art. 15 EuEheVO und öffentlich-rechtlich eingestufte Fürsorgeklage
Schlussanträge des Generalanwalts Melchior Wathelet vom 16.6.2016 – Rs. C-428/15 – Child and Family Agency ./. J.D.
1. Art. 15 EuEheVO kann im Fall einer nach nationalem Recht als öffentlich-rechtlich eingestuften Klage im Bereich der Fürsorge für ein Kind angewandt werden, und zwar auch dann, wenn in dem Mitgliedstaat, an den das für die Sachentscheidung zuständige Gericht die Rechtssache verweisen will, noch kein Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren anhängig ist. Diese Bestimmung ist hingegen nicht anwendbar, wenn die Zuständigkeit des Gerichts, an das die Rechtssache verwiesen werden soll, von der Einleitung eines Verfahrens durch einen Kläger abhängt, der keine Partei des vor dem normalerweise zuständigen Gericht anhängigen Verfahrens ist.
2. Art. 15 Abs. 1 EuEheVO verpflichtet das für die Entscheidung in der Hauptsache zuständige Gericht zu der Prüfung, ob das Gericht, an das es die Rechtssache verweisen will, den Fall besser beurteilen und eine Entscheidung in Bezug auf die elterliche Verantwortung treffen kann, die dem Wohl des Kindes mehr entspricht.
Zu diesem Zweck muss es sich vergewissern, dass die Entscheidung in Bezug auf die elterliche Verantwortung von dem Gericht getroffen wird, das die engsten Bindungen zu den Umständen des konkreten Falles aufweist. Die Prüfung hat, um das Wohl des Kindes zu schützen, aus seiner Perspektive zu erfolgen, ohne dass das für die Entscheidung in der Hauptsache zuständige Gericht eine vergleichende Analyse des materiellen Rechts vornimmt, das die Gerichte des anderen Mitgliedstaats anwenden werden. Eine Analyse der anwendbaren Verfahrensregeln oder der von den Gerichten dieses anderen Mitgliedstaats allgemein befolgten Praxis kann hingegen nützlich sein. Berücksichtigt werden können Gesichtspunkte wie die Verfahrenssprache, die Verfügbarkeit einschlägiger Beweise, die Möglichkeit, geeignete Zeugen vorzuladen, und die Wahrscheinlichkeit, dass sie erscheinen, die Verfügbarkeit medizinischer und sozialer Berichte und die Möglichkeit, sie gegebenenfalls zu aktualisieren, sowie die Frist, innerhalb deren die Entscheidung ergehen wird.
Dass diese Gesichtspunkte oder einige von ihnen im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als dem des normalerweise zuständigen Gerichts angesiedelt sind, darf nicht die Bedeutung der Umwelt, in der sich das Kind entwickelt, und die Auswirkung kaschieren, die die mit einer Verweisung der Rechtssache an ein Gericht mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat verbundene Ortsveränderung auf sein körperliches und seelisches Wohlbefinden haben könnte.
Keine Anwendung der EuInsVO auf Verwirkung oder Vollstreckungsaussetzung unangemeldeter Forderungen
Schlussanträge des Generalanwalts Michal Bobek vom 9.6.2016 – Rs. C-212/15 – ENEFI Energiahatekonysagi Nyrt ./. Direcția Generală Regională a Finanțelor Publice Brașov (DGRFP)
1. Die EuInsVO steht einer Rechtsvorschrift der lex concursus nicht entgegen, wonach eine Forderung, die vom Gläubiger in dem in einem Mitgliedstaat eröffneten Insolvenzverfahren nicht angemeldet wurde, verwirkt ist oder dass die Vollstreckung dieser Forderung in einem anderen Mitgliedstaat auszusetzen ist.
2. Die fiskalische Natur einer Vollstreckungsmaßnahme, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Staat betrieben wird, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, hat keinen Einfluss auf die Anwendbarkeit der EuInsVO.
Schlichtungsbehörde als Gericht i.S.d. LugÜ
Vorabentscheidungsersuchen des AG Stuttgart an den EuGH vom 8.8.2016 – 28 F 618/16
Unterfällt auch eine Schlichtungsbehörde nach Schweizer Recht dem Begriff des „Gerichts“ im Anwendungsbereich der Art. 27 und 30 LugÜ?
Art. 1 Rom III-VO und Privatscheidung II
Vorabentscheidungsersuchen des OLG München an den EuGH vom 29.6.2016 – 34 Wx 146/14
1. Ist der Anwendungsbereich nach Art. 1 Rom III-VO auch für Fälle der Privatscheidung – hier: durch einseitige Erklärung eines Ehegatten vor einem geistlichen Gerichtshof in Syrien aufgrund der Scharia – eröffnet?
2. Falls die Frage 1 bejaht wird:
Ist bei Anwendung der Rom III-VO deren Art. 10 in Fällen der Privatscheidung
(1) abstrakt auf einen Vergleich abzustellen, wonach das gemäß Art. 8 anzuwendende Recht einen Zugang zur Ehescheidung zwar auch dem anderen Ehegatten gewährt, diese aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit aber an andere verfahrensrechtliche und materielle Voraussetzungen knüpft wie an den Zugang des einen Ehegatten, oder
(2) das Eingreifen der Norm davon abhängig, dass die Anwendung des abstrakt diskriminierenden ausländischen Rechts auch im Einzelfall – konkret – diskriminiert?
3. Falls die Frage 2 (2) bejaht wird:
Ist ein Einvernehmen des diskriminierten Ehegatten mit der Ehescheidung – auch in der Form der gebilligten Entgegennahme von Ausgleichsleistungen – bereits ein Grund, die Norm nicht anzuwenden?
Art. 8 EuGVVO 2001 und öffentlich-rechtliche Dienstfahrt
Vorabentscheidungsersuchen des OGH an den EuGH vom 25.5.2016 – 2 Ob 93/15p
1. Handelt es sich bei der Klage eines inländischen Dienstgebers auf Ersatz des durch die Entgeltfortzahlung an seinen im Inland wohnhaften Dienstnehmer auf ihn verlagerten Schadens um eine „Klage in Versicherungssachen“ im Sinne des Art. 8 EuGVVO 2001, wenn
a) der Dienstnehmer bei einem Verkehrsunfall in einem Mitgliedstaat (Italien) verletzt wurde,
b) die Klage sich gegen den in einem weiteren Mitgliedstaat (Frankreich) ansässigen Haftpflichtversicherer des Schädigerfahrzeugs richtet und
c) der Dienstgeber als Anstalt öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit eingerichtet ist?
2. Wenn Frage 1 bejaht wird:
Ist Art. 9 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit Art. 11 Abs. 2 EuGVVO 2001 dahin auszulegen, dass der das Entgelt fortzahlende Dienstgeber als „Geschädigter“ den Haftpflichtversicherer des Schädigerfahrzeugs vor dem Gericht des Orts, an dem der Dienstgeber seinen Sitz hat, verklagen kann, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist?
Art. 7 Nr. 2 EuGVVO und Internetdelikt
Vorabentscheidungsersuchen des Riigikohus (Estland) an den EuGH vom 7.4.2016 – Rs. C-194/16 – Bolagsupplysningen OÜ, Ingrid Ilsjan ./. Svensk Handel AB
1. Ist Art. 7 Nr. 2 EuGVVO dahin auszulegen, dass eine Person, deren Rechte durch die Veröffentlichung unrichtiger Angaben über sie im Internet und durch das Unterlassen der Entfernung sie betreffender Kommentare verletzt worden sein sollen, vor den Gerichten jedes Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die im Internet veröffentlichten Informationen zugänglich sind oder waren, hinsichtlich des in diesem Mitgliedstaat entstandenen Schadens eine Klage auf Richtigstellung der unrichtigen Angaben und Entfernung der ihre Rechte verletzenden Kommentare erheben kann?
2. Ist Art. 7 Nr. 2 EuGVVO dahin auszulegen, dass eine juristische Person, deren Rechte durch die Veröffentlichung unrichtiger Angaben über sie im Internet und durch das Unterlassen der Entfernung sie betreffender Kommentare verletzt worden sein sollen, die Ansprüche auf Richtigstellung der Angaben, Verpflichtung zur Entfernung der Kommentare und Ersatz des durch die Veröffentlichung der unrichtigen Angaben im Internet entstandenen materiellen Schadens hinsichtlich des gesamten ihr entstandenen Schadens bei den Gerichten des Staats geltend machen kann, in dem sich der Mittelpunkt ihrer Interessen befindet?
3. Wird die zweite Frage bejaht, ist dann Art. 7 Nr. 2 EuGVVO dahin auszulegen, dass
- davon auszugehen ist, dass der Mittelpunkt der Interessen einer juristischen Person und damit der Ort der Entstehung ihres Schadens in dem Mitgliedstaat liegt, in dem sich ihr Sitz befindet, oder
- bei der Bestimmung des Mittelpunkts der Interessen der juristischen Person und damit des Orts der Entstehung ihres Schadens sämtliche Umstände zu berücksichtigen sind, wie etwa der Sitz und die Betriebsstätte der juristischen Person, der Sitz ihrer Kunden und die Art und Weise, in der die Geschäfte abgeschlossen werden?
allein anhand dieser Verordnung, zu bestimmen.
Art. 7 Nr. 1 EuGVVO bei abgeleitetem (sekundärem) Vertragsanspruch aus Kreditvertrag
Vorabentscheidungsersuchen des OGH an den EuGH vom 31.3.2016 – 1 Ob 31/16i
1. Ist Art. 7 Nr. 1 EuGVVO dahin auszulegen, dass ein Rückerstattungsanspruch (Ausgleichs-/Regressanspruch) eines Schuldners aus einem (gemeinsamen) Kreditvertrag mit einer Bank, der die Kreditraten alleine getragen hat, gegen den weiteren Schuldner aus diesem Kreditvertrag ein abgeleiteter (sekundärer) vertraglicher Anspruch aus dem Kreditvertrag ist?
2. Für den Fall, dass die Frage 1 bejaht wird:
Bestimmt sich der Erfüllungsort des Rückerstattungsanspruchs (Ausgleichs-/Regressanspruchs) eines Schuldners gegen den anderen Schuldner aus dem zugrundeliegenden Kreditvertrag
a) nach Art 7 Nr. 1 lit. b zweiter Gedankenstrich EuGVVO („Erbringung von Dienstleistungen“) oder
b) gemäß Art 7 Nr. 1 lit. c in Verbindung mit lit. a EuGVVO nach der lex causae?
3. Für den Fall, dass die Frage 2.a) bejaht wird:
Ist die Gewährung des Kredits durch die Bank die vertragscharakterische Leistung aus dem Kreditvertrag und bestimmt sich daher der Erfüllungsort für die Erbringung dieser Dienstleistung gemäß Art 7 Nr. 1 lit. b zweiter Gedankenstrich EuGVVO nach dem Sitz der Bank, wenn die Hingabe des Kredits ausschließlich dort erfolgt ist?
4. Für den Fall, dass die Frage 2.b) bejaht wird:
Ist für die Bestimmung des Erfüllungsorts für die verletzte Vertragsleistung nach Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVVO
a) der Zeitpunkt der Kreditaufnahme durch beide Schuldner (März 2007) maßgeblich oder
b) der jeweilige Zeitpunkt, zu dem der regressberechtigte Kreditschuldner die Zahlungen, aus denen er den Regressanspruch ableitet, an die Bank geleistet hat (Juni 2012 bis Juni 2014)?
HKÜ: Einstweilige Anordnung bei Rückführungsfällen
BVerfG 18.7.2016 – 1 BvQ 27/16
Zur Frage eines Erlasses einer einstweiligen Anordnung bei Rückführungsfällen nach dem HKÜ.
Keine Vollstreckung nach der EuGVVO für Freezing Injunction des Londoner High Court of Justice
OLG Brandenburg 11.7.2016 – 7 W 20/16
1. Wie vom EuGH bereits zum EuGVÜ entschieden, ist auch die EuGVVO nicht auf Verfahren in den Mitgliedstaaten anwendbar, die die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen aus Drittstaaten betreffen.
2. Eine Freezing Injunction des High Court of Justice in London, die der Unterstützung bzw. Sicherung einer Klage in England zur Vollstreckung von Urteilen dient, welche in der Russischen Föderation gegen den Schuldner erlassen wurden, kann daher in Deutschland nicht vollstreckt werden. Der Antrag auf Androhung von Ordnungsmitteln stellt sich vielmehr als unzulässige Umgehung des in Deutschland durchzuführenden Exequaturverfahrens (für die russischen Urteile) nach den §§ 328, 722, 723 ZPO dar.
Griechischer Schuldenschnitt II: Staatenimmunität und Anlegerklage
OLG Schleswig 7.7.2016 – 5 U 84/15
Einer in Deutschland wegen des Ausfalls griechischer Staatsanleihen erhobenen Anlegerklage steht auch insoweit der Einwand der Staatenimmunität entgegen, als mit ihr Rückzahlungsansprüche aus den Staatsanleihen bzw. Ersatz wegen deren Nichterfüllung geltend gemacht werden.
Vollziehung einer Unterlassungsverfügung durch Zustellungsversuch ohne Übersetzung
OLG Frankfurt 1.7.2016 – 6 U 104/14
1. Zur fristgerechten Vollziehung einer Unterlassungsverfügung gegenüber einem im Ausland ansässigen Titelschuldner reicht es aus, wenn der Gläubiger innerhalb der Vollziehungsfrist den Antrag auf Auslandszustellung bei Gericht einreicht und die tatsächliche Zustellung „demnächst“ im Sinne von § 167 ZPO, d.h. insbesondere ohne jede vom Gläubiger zu vertretende Verzögerung, bewirkt wird (Bestätigung der Senatsrechtsprechung).
2. Der Wahrung der Vollziehungsfrist steht es in dem unter Ziffer 1. genannten Fall grundsätzlich nicht entgegen, wenn entsprechend dem eingereichten Antrag zunächst ein Zustellungsversuch ohne Anfertigung von Übersetzungen unternommen werden soll, weil davon ausgegangen werden kann, dass der Empfänger die deutsche Sprache versteht (Art. 8 Abs. 1 EuZustVO). Verweigert der Zustellungsempfänger jedoch mit Recht die Annahme und wird der Gläubiger auf die Verweigerung der Annahme hingewiesen, muss der Gläubiger zur fristgerechten Vollziehung unverzüglich auf die Zustellung einer Übersetzung der zuzustellenden Schriftstücke hinwirken (im Streitfall verneint).
§ 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG und temporäre Bigamie
KG 31.5.2016 – 1 VA 7/15
§ 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG steht der Anerkennung eines ausländischen Urteils, das eine Ehe (hier: zwischen einer Deutschen und einem Syrer) rückwirkend auf einen Zeitpunkt bestätigt, zu dem der Ehemann noch mit einer anderen Frau verheiratet war, nicht entgegen, wenn die Erstehe noch vor dem Urteilserlass geschieden worden war und es nach den konkreten Umständen nicht in einem eklatanten Widerspruch zu den Wertvorstellungen des deutschen Rechts steht, dass die Zweitehe (hier: möglicherweise) nicht mehr wegen Bigamie aufgehoben werden kann.
Rechtshängigkeitskonflikte bei unterschiedlicher Rechtshängigkeitsbestimmung
KG 3.2.2016 – 3 UF 78/15
Die Frage, ob und wann Rechtshängigkeit eingetreten ist, richtet sich außerhalb einschlägiger europäischer Rechtsverordnungen (Art. 16 EuEheVO, Art. 30 EuGVVO 2001, Art. 32 EuGVVO, Art. 9 EuUnterhVO) nach der lex fori des jeweils angerufenen Gerichts.
Der in Fällen mit Auslandsbezug anzustrebende internationale Entscheidungseinklang und der verfahrensrechtliche Grundsatz der Rechtsklarheit verbieten eine Korrektur dieses Ergebnisses aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit auch dann, wenn die Beachtung des ausländischen Verfahrensrechts dazu führt, dass ein in Deutschland vor dem entsprechenden Antrag im Ausland anhängig gemachter Scheidungsantrag wegen der von Amts wegen zu beachtenden entgegen stehenden Rechtshängigkeit des ausländischen Verfahrens (§ 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO analog) unzulässig wird, weil die Zustellung im Ausland erst bewirkt werden kann, nachdem ein konkurrierender Scheidungsantrag bei dem ausländischen Gericht eingereicht wurde (im Anschluss an BGH, Urt. v. 12.2.1992 – XII ZR 25/91, juris).
Aus demselben Grund verbietet sich auch eine analoge Anwendung des Art. 16 EuEheVO oder entsprechender Vorschriften aus anderen EU-Verordnungen (Art. 30 EuGVVO 2001, Art. 32 EuGVVO, Art. 9 EuUnterhVO). Es ist Sache des Gesetzgebers, im Bereich des autonomen internationalen oder auch des inländischen Verfahrensrechts insoweit für eine Anpassung an europarechtliche Vorschriften zu sorgen.
Schweizerische Konsensualscheidung aufgrund paralleler Scheidungsklage im Ausland
KG 2.11.2015 – 3 UF 120/14
Die Voraussetzungen für eine Konsensualscheidung nach Art. 292 Abs. 1 ZPO der Schweiz liegen nach der Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts auch dann vor, wenn das Einverständnis mit der Scheidung zwar im Scheidungsverfahren selbst formell verweigert wird, das (materielle) Einverständnis mit der Scheidung sich aber daraus ergibt, dass der beklagte Ehegatte an einem anderen – auch ausländischen – Gerichtsstand die Scheidung begehrt (Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 3.10.2013 – BGE 139 III 482). Der Beachtung dieser vom Schweizerischen Bundesgericht praktizierten Auslegung durch ein deutsches Gericht bei der Anwendung materiellen schweizerischen Rechts steht die Tatsache, dass der Übergang von der streitigen Scheidung zur Konsensualscheidung seit Abschaffung des früheren Art. 116 ZGB der Schweiz und Einführung des § 292 ZPO der Schweiz nicht mehr materiellrechtlich, sondern verfahrensrechtlich geregelt ist, nicht entgegen. Entscheidend ist allein, ob bei gleicher Ausgangslage ein Schweizerisches Gericht die Scheidung aussprechen würde oder nicht.
Spezialität der Art. 20–23 EuGVVO auch bei Deliktsklage aufgrund Vertragswidrigkeit
LAG Niedersachsen 29.6.2016 – 13 Sa 1152/15
1. Art. 20–23 EuGVVO schaffen hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit ein abschließendes Regime für Streitigkeiten aus individuellen Arbeitsverträgen mit Verdrängungswirkung zu Lasten aller anderen Gerichtsstände, mit Ausnahme der in Art. 20 Abs. 1 EuGVVO ausdrücklich zugelassenen Gerichtstände nach Art. 6, 7 Nr. 5 und 8 Nr. 1 EuGVVO (vgl. BAG 24.9.2009 – 8 AZR 306/08).
2. Kann ein Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer sowohl auf Arbeitsvertrag als auch auf unerlaubte Handlung gestützt werden, bildet der individuelle Arbeitsvertrag jedenfalls dann im Sinne von Art. 20 Abs. 1 EuGVVO den Gegenstand des Verfahrens, wenn er herangezogen werden muss, um zu klären, ob das dem Arbeitnehmer vorgeworfene Verhalten rechtmäßig oder widerrechtlich ist (vgl. EuGH 13.3.2013 – C-548/12, EuGH 10.9.2015 – C-47/14). In diesen Fällen kann der Arbeitnehmer gemäß Art. 22 Abs. 1 EuGVVO nur vor dem für seinen Wohnsitz zuständigen Gericht des Mitgliedstaates und nicht auch vor dem sich aus Art. 7 Nr. 1 oder 2 EuGVVO ergebenden Gericht verklagt werden.
Perpetuatio fori nach der lex fori, Unterbrechung der Verjährung nach österreichischem Recht durch deutsches Mahnverfahren
LG Kleve 26.4.2016 – 4 O 124/11
1. Ob und inwieweit der Grundsatz der perpetuatio fori gilt, bestimmt sich auch im Anwendungsbereich der EuGVVO allein nach dem nationalen Recht des angerufenen Gerichtes.
2. Ein deutsches Mahnverfahren unterbricht die Verjährung nach österreichischem Recht.
Kanada: Deliktszuständigkeit am Vertragsabschlussort?
Supreme Court of Canada 15.7.2016 – 2016 SCC 30 – Lapointe Rosenstein Marchand Melancon LLP v. Cassels Brock & Blackwell LLP
Zur Zuständigkeit bei Klagen wegen unerlaubter Handlung bzw. zu der Frage, ob der Ort des Abschlusses eines mit dem Verfahren verbundenen Vertrages als Anknüpfungspunkt ausreicht.
Territoriale Grenzen des Racketeer Influenced and Corrupt Practices Act
US Supreme Court 20.6.2016 – No. 15-138 – RJR Nabisco Inc. et al. v. European Community et al.
Zur Begrenzung der extraterritorialen Anwendung US-amerikanischer Gesetze (hier: Racketeer Influenced and Corrupt Practices Act).
Menschenrechtsklage sambischer Kläger gegen englisches Bergbauunternehmen vor dem High Court
The High Court of Justice 27.5.2016 – [2016] EWHC 975 (TCC) – Dominic Liswaniso Lungowe & Others v Vedanta Resources Plc & Konkola Copper Mines Plc
Zur internationalen Zuständigkeit bei Schadensersatzklagen ausländischer Kläger (hier: aus Sambia) gegen multinationale Unternehmen.
Veranstaltungshinweise
Vom 23.-24.9.2016 laden die Herren Professoren Dres. Mansel (Köln) und von Hein (Freiburg) als Präsident des Deutschen Rats für Internationales Privatrecht bzw. als Vorsitzender der 2. Kommission des Rats zugleich im Namen der Herausgeber der Zeitschrift IPRax und des Verlags Gieseking zur Tagung „Kodifikation des Internationalen Privatrechts“ in Köln ein. In diesem Jahr jährt sich die große Reform des deutschen Internationalen Privatrechts von 1986 zum 30. Mal und die Zeitschrift IPRax feiert die 35. Wiederkehr der Gründung. In dieser Zeitspanne hat sich das Internationale Privatrecht sehr verändert; die Dynamik des Fachs wächst weiter stetig auf europäischer und globaler Ebene. Die Tagung verbindet einen Rückblick auf die bisherige Entwicklung des Internationalen Privatrechts mit einem Ausblick auf die kollisionsrechtlichen Gestaltungsaufgaben der Zukunft. Das Tagungsprogramm findet sich auf der Homepage des Instituts für internationales und ausländisches Privatrecht der Universität zu Köln unter http://www.ipr.uni-koeln.de.