zum Inhalt springen

IPRax-Heft 2011,6

Neueste Informationen Heft 6 / 2011

Einheitsrecht: Gemeinsames Europäisches Kaufrecht als optionales Instrument

Am 11.10.2011 hat die EU-Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht vorgelegt. Das Instrument soll auf grenzüberschreitende Verträge beschränkt sein und fakultativ neben den Vertragsrechtssystemen der Mitgliedsstaaten stehen. Weitere Informationen unter: www.ipr.uni-koeln.de unter „Aktuelles“ oder  "http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2011http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2011: 0636:FIN:DE:PDF. Der Vorschlag kann abgerufen werden unter: http://ec.europa.eu/justice/contract/files/common_sales_law/regulation_sales_law_en.pdf.


Englische Übersetzung des EGBGB

Eine englische Übersetzung des EGBGB von Dr. Juliana Mörsdorf-Schulte, LL.M. (Univ. of California, Berkeley) ist auf der Seite des Bundesministeriums der Justiz unter http://www.gesetze-im-internet.de/englisch_bgbeg/index.html abrufbar.


Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO: Strengere Anforderungen an den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen

EuGH 20.10.2011 – Rs. 396/09 – Interedil Srl, in Liquidation ./. Fallimento Interedil Srl, Intesa Gestione Crediti SpA

1. Es ist mit dem Unionsrecht nicht vereinbar, dass ein nationales Gericht nach einer nationalen Verfahrensvorschrift an die rechtliche Beurteilung eines übergeordneten nationalen Gerichts gebunden ist, wenn diese Beurteilung des übergeordneten Gerichts nicht dem Unionsrecht in seiner Auslegung durch den Gerichtshof entspricht.

2. Der Begriff „Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen“ des Schuldners im Sinne von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ist unter Bezugnahme auf das Unionsrecht auszulegen.

3. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO ist im Hinblick auf die Bestimmung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen einer Schuldnergesellschaft wie folgt auszulegen:

– Bei der Bestimmung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen einer Schuldnergesellschaft ist dem Ort der Hauptverwaltung dieser Gesellschaft, wie er anhand von objektiven und durch Dritte feststellbaren Faktoren ermittelt werden kann, der Vorzug zu geben. Wenn sich die Verwaltungs- und Kontrollorgane einer Gesellschaft am Ort ihres satzungsmäßigen Sitzes befinden und die Verwaltungsentscheidungen der Gesellschaft in durch Dritte feststellbarer Weise an diesem Ort getroffen werden, lässt sich die in dieser Vorschrift aufgestellte Vermutung nicht widerlegen. Befindet sich der Ort der Hauptverwaltung einer Gesellschaft nicht an ihrem satzungsmäßigen Sitz, können das Vorhandensein von Gesellschaftsaktiva und das Bestehen von Verträgen über deren finanzielle Nutzung in einem anderen Mitgliedstaat als dem des satzungsmäßigen Sitzes der Gesellschaft nur dann als zur Widerlegung dieser Vermutung ausreichende Faktoren angesehen werden, wenn eine Gesamtbetrachtung aller relevanten Faktoren die von Dritten überprüfbare Feststellung zulässt, dass sich der tatsächliche Mittelpunkt der Verwaltung und der Kontrolle der Gesellschaft sowie der Verwaltung ihrer Interessen in diesem anderen Mitgliedstaat befindet;

– wird der satzungsmäßige Sitz einer Schuldnergesellschaft verlegt, bevor ein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt wird, wird vermutet, dass sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen dieser Gesellschaft am Ort ihres neuen satzungsmäßigen Sitzes befindet.

4. Der Begriff „Niederlassung“ im Sinne von Art. 3 Abs. 2 dieser Verordnung ist dahin gehend auszulegen, dass er die Existenz einer auf die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ausgerichteten Struktur mit einem Mindestmaß an Organisation und einer gewissen Stabilität erfordert. Das bloße Vorhandensein einzelner Vermögenswerte oder von Bankkonten genügt dieser Definition grundsätzlich nicht.


Anwendbarkeit der EuGVVO bei Verurteilung zur Zahlung eines Ordnungsgelds

EuGH 18.10.2011 – Rs. C-406/09 – Realchemie Nederland BV ./. Bayer CropScience AG

1. Der Begriff „Zivil- und Handelssachen“ in Art. 1 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass diese Verordnung auf die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung eines Gerichts anwendbar ist, die eine Verurteilung zur Zahlung eines Ordnungsgelds umfasst, um eine gerichtliche Entscheidung in einer Zivil- und Handelssache durchzusetzen. 

2. Die Kosten eines in einem Mitgliedstaat angestrengten Verfahrens der Vollstreckbarerklärung, mit dem um die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung ersucht wird, die in einem anderen Mitgliedstaat im Rahmen eines Rechtsstreits über die Durchsetzung eines Rechts des geistigen Eigentums ergangen ist, unterfallen Art. 14 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums.


Art. 45 EuGVVO und Versagung oder Aufhebung einer Vollstreckbarerklärung

EuGH 13.10.2011 – Rs. C-139/10 – Prism Investments BV ./. Jaap Anne van der Meer in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter der Arilco Holland BV 

Art. 45 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass er der Versagung oder Aufhebung einer Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung durch ein Gericht, das über einen Rechtsbehelf gemäß Art. 43 oder 44 dieser Verordnung zu entscheiden hat, aus einem anderen als einem in den Art. 34 und 35 dieser Verordnung genannten Grund, wie etwa dem, dass der Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat nachgekommen wurde, entgegensteht.


Reichweite des von einem Gemeinschaftsmarkengericht ausgesprochenen Verletzungsverbots

EuGH 12.4.2011 – Rs. C-235/09 – DHL Express France SAS ./. Chronopost SA

1. Art. 98 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20.12.1993 über die Gemeinschaftsmarke in der durch die Verordnung (EG) Nr. 3288/94 des Rates vom 22.12.1994 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass sich die Reichweite des von einem Gemeinschaftsmarkengericht, dessen Zuständigkeit auf den Art. 93 Abs. 1–4 und 94 Abs. 1 dieser Verordnung beruht, ausgesprochenen Verbots, Handlungen, die eine Gemeinschaftsmarke verletzen oder zu verletzen drohen, fortzusetzen, grundsätzlich auf das gesamte Gebiet der Union erstreckt. 

2. Art. 98 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 40/94 in der durch die Verordnung Nr. 3288/94 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass eine Zwangsmaßnahme – wie ein Zwangsgeld –, die ein Gemeinschaftsmarkengericht nach Maßgabe seines innerstaatlichen Rechts anordnet, um sicherzustellen, dass ein von ihm ausgesprochenes Verbot der Fortsetzung von Handlungen, die eine Gemeinschaftsmarke verletzen oder zu verletzen drohen, befolgt wird, unter den in Kapitel III betreffend die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen EuGVVO vorgesehenen Bedingungen über den Staat hinaus, dem das Gericht angehört, in anderen Mitgliedstaaten, auf die sich die territoriale Reichweite eines solchen Verbots erstreckt, Wirkungen entfaltet. Sieht das innerstaatliche Recht eines dieser anderen Mitgliedstaaten keine Zwangsmaßnahme vor, die der von dem Gemeinschaftsmarkengericht angeordneten ähnlich ist, ist das mit dieser Maßnahme verfolgte Ziel vom zuständigen Gericht dieses Mitgliedstaats zu erreichen, indem es die einschlägigen Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts dieses Staates, die die Befolgung dieses Verbots in gleichwertiger Weise zu gewährleisten vermögen, heranzieht.


Anwendung der EuGVVO bei einem Beklagten mit unbekanntem Wohnsitz

Schlussanträge der Generalanwältin Verica Trstenjak vom 8.9.2011 – Rs. C-327/10 – Hypote?ní banka, a.s. ./. Udo Mike Lindner

1. Die Anwendung der EuGVVO vorgesehenen Zuständigkeitsregeln setzt voraus, dass eine Situation gegeben ist, in der sich das nationale Gericht Fragen hinsichtlich seiner internationalen Zuständigkeit stellen kann. Davon ist in einem Fall wie dem vorliegenden auszugehen, in dem vor einem mitgliedstaatlichen Gericht Klage gegen den Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats erhoben worden ist, der in der Vergangenheit seinen Wohnsitz in dem Mitgliedstaat des Gerichts hatte, dessen aktueller Wohnsitz dem mitgliedstaatlichen Gericht allerdings unbekannt ist.

2. Die EuGVVO steht der Anwendung einer nationalen Regelung wie § 29 Abs. 3 des tschechischen Ob?anský soudní ?ád, nach der für einen Beklagten mit unbekanntem Wohnsitz ein Prozesspfleger bestellt werden kann, grundsätzlich nicht entgegen. Allerdings müssen bei ihrer Anwendung die unionsrechtlichen Vorgaben beachtet werden, die sich insbesondere aus den Zuständigkeitsregeln der EuGVVO und den Verteidigungsrechten des Beklagten ergeben.

3. Art. 24 EuGVVO ist so auszulegen, dass er auf Verbrauchersachen im Sinne ihres Kapitels II Abschnitt 4 anwendbar ist. Die Einlassung eines Prozesspflegers, der ohne Willen und Wissen des Beklagten für diesen bestellt worden ist, stellt allerdings keine Einlassung des Beklagten im Sinne dieser Vorschrift dar und kann somit nicht die Zuständigkeit des Gerichts begründen, vor dem die Einlassung des Prozesspflegers erfolgt.

4. Soweit sich aus einer Vereinbarung über die örtliche Zuständigkeit eines Gerichts auch der Parteiwille ergibt, eine konkludente Vereinbarung über die internationale Zuständigkeit der Gerichte des betreffenden Mitgliedstaats zu schließen, kann eine solche konkludente Vereinbarung die internationale Zuständigkeit eines Gerichts dieses Mitgliedstaats nach Art. 17 Nr. 3 EuGVVO begründen. Eine Unverbindlichkeit der Vereinbarung über die örtliche Zuständigkeit wegen Missbräuchlichkeit nach Art. 3 Abs. 1 und 6 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen wirkt sich regelmäßig nicht auf die Vereinbarung über die internationale Zuständigkeit aus, es sei denn, dass sich aus dem Parteiwillen etwas anderes ergibt.


Verhältnis von Art. 6 Abs. 2 lit. a und lit. b EVÜ

Schlussanträge der Generalanwältin Verica Trstenjak vom 8.9.2011 – Rs. C-384/10 – Jan Voogsgeerd ./. Navimer SA

1. Sofern das nationale Gericht nach Prüfung der Gesamtheit der Umstände des Ausgangsfalls feststellen sollte, dass der Arbeitnehmer in Erfüllung seines Arbeitsvertrags gewöhnlich seine Arbeit in einem bestimmten Staat verrichtet, hat es Art. 6 Abs. 2 lit. a des Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, aufgelegt zur Unterzeichnung am 19.6.1980 in Rom, anzuwenden, selbst wenn der Arbeitnehmer vorübergehend in einen anderen Staat entsandt worden ist. In einem solchen Fall ist ein Rückgriff auf Art. 6 Abs. 2 lit. b ausgeschlossen.

2. Sollten die Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 2 lit. a nach Auffassung des nationalen Gerichts nicht erfüllt sein, so ist Art. 6 Abs. 2 lit. b wie folgt auszulegen:

a) Unter dem Staat, in dem sich die Niederlassung befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat, ist der Staat zu verstehen, in dem sich die Niederlassung des Arbeitgebers befindet, die den Arbeitsvertrag mit dem Arbeitnehmer abgeschlossen hat, wobei es auf den Ort der tatsächlichen Beschäftigung grundsätzlich nicht ankommt.

b) Der Besitz von Rechtspersönlichkeit stellt keine Anforderung dar, die eine Niederlassung des Arbeitgebers im Sinne dieser Bestimmung erfüllen muss, sofern diese Niederlassung im Einklang mit den einschlägigen Bestimmungen des Sitzstaats errichtet worden ist und eine gewisse Dauerhaftigkeit aufweist.

c) Die Niederlassung einer anderen Gesellschaft, zu der die Arbeitgebergesellschaft Beziehungen unterhält, kann als Niederlassung im Sinne im Sinne von Art. 6 Abs. 2 lit. b des Übereinkommens gelten, auch wenn die Weisungsbefugnis nicht an diese andere Gesellschaft übertragen worden ist.


Intertemporale Anwendbarkeit der Rom II-VO

Schlussanträge des Generalanwalts Paolo Mengozzi vom 6.9.2011 – Rs. C-412/10 – Deo Antoine Homawoo ./. GMF Assurances SA

1. Die Art. 31 und 32 Rom II-VO in Verbindung mit Art. 254 EG sind dahin gehend auszulegen, dass ein nationales Gericht diese Verordnung, insbesondere ihren Art. 15 lit. c Rom II-VO, nicht in einem Fall anwenden darf, in dem das schadensbegründende Ereignis am 29.8.2007 eingetreten ist. Die Rom II-VO findet nur auf schadensbegründende Ereignisse Anwendung, die am 11.1.2009 oder später eingetreten sind.

2. Angesichts der Antwort auf die erste Vorlagefrage erübrigt sich eine Beantwortung der zweiten Vorlagefrage.


Feststellung der Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung durch Prozessurteil und Art. 32 f. EuGVVO

Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Bremen (Deutschland) an den EuGH vom 2.9.2011 – Rs. C-456/11 – Gothaer Allgemeine Versicherung AG, ERGO Versicherung AG, Versicherungskammer Bayern-Versicherungsanstalt des öffentlichen Rechts, Nürnberger Allgemeine Versicherungs-AG, Krones AG ./. Samskip GmbH

1. Sind die Art. 32 und 33 EuGVVO so auszulegen, dass unter den Begriff „Entscheidung“ grundsätzlich auch solche Entscheidungen fallen, die sich in der Feststellung des Nichtbestehens prozessualer Zulässigkeitsvoraussetzungen (sog. Prozessurteile) erschöpfen?

2. Sind die Art. 32 und 33 EuGVVO so auszulegen, dass unter den Begriff der „Entscheidung“ auch ein die Instanz abschließendes Urteil fällt, mit dem die internationale Zuständigkeit wegen einer Gerichtsstandsvereinbarung verneint wird?

3. Sind Art. 32 und 33 EuGVVO vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH zum Prinzip der Wirkungserstreckung (Urteil des EuGH v. 4.2.1988 – Rs. 145/86) dahingehend auszulegen, dass jeder Mitgliedsstaat die Entscheidungen des Gerichts eines anderen Mitgliedsstaates über die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung zwischen den Parteien anzuerkennen hat, wenn nach dem nationalen Recht des Erstgerichts die Feststellung über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung in Rechtskraft erwächst, und zwar auch dann, wenn die Entscheidung hierüber Teil eines Klage abweisenden Prozessurteils ist?


Art. 15 Abs. 1 EuGVVO und Wechselbürge bei Begebung unvollständigen Wechsels

Vorabentscheidungsersuchen des M?stský soud v Praze (Tschechische Republik) an den EuGH vom 10.8.2011 – Rs. C-419/11 – ?eská spo?itelna, a.s. ./. Gerald Feichter

1. Kann die Wendung „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag, den eine Person [...] zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person zugerechnet werden kann“ in Art. 15 Abs. 1 EuGVVO dahin ausgelegt werden, dass darunter auch Ansprüche aus einem bei seiner Begebung unvollständigen Wechsel fallen, die der Zahlungsberechtigte gegen den Wechselbürgen des Wechselausstellers geltend macht?

2. Kann unabhängig davon, ob die erste Frage zu bejahen oder zu verneinen ist, die Wendung „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ in Art. 5 Nr. 1 lit. a EuGVVO dahin ausgelegt werden, dass darunter bei Berücksichtigung allein des Urkundeninhalts als solchem auch Ansprüche aus einem bei seiner Begebung unvollständigen Wechsel fallen, die der Zahlungsberechtigte gegen den Wechselbürgen des Wechselausstellers geltend macht?


Art. 17 EuBewVO: Grenzüberschreitenden Sachverständigenbegutachtung

Vorabentscheidungsersuchen des Hof van Cassatie van België (Belgien) an den EuGH vom 30.6.2011 – Rs. C-332/11 – Prorail bv ./. Xpedys nv u. a.

Sind die Art. 1 und 17 EuBewVO unter Berücksichtigung u.a. der europäischen Regelung über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen und des in Art. 33 Abs. 1 EuGVVO zum Ausdruck gebrachten Grundsatzes, dass die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf, dahin auszulegen, dass das Gericht, das eine gerichtliche Sachverständigenuntersuchung anordnet, bei der der Auftrag zum Teil in dem Mitgliedstaat, dem das Gericht angehört, zum Teil aber auch in einem anderen Mitgliedstaat ausgeführt werden soll, vor der unmittelbaren Ausführung dieses zuletzt genannten Teils allein und ausschließlich von der mit der genannten Verordnung in Art. 17 geschaffenen Methode Gebrauch machen muss, oder dahin, dass der von dem Land berufene Gerichtssachverständige auch außerhalb der Bestimmungen der EuBewVO mit einer Untersuchung beauftragt werden kann, die teilweise in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union durchgeführt werden muss?


Art. 1 Abs. 1 EuZustVO und Zustellungsfiktion

Vorabentscheidungsersuchen des S?d Rejonowy w Koszalinie (Republik Polen) an den EuGH vom 28.6.2011 – Rs. C-325/11 – Krystyna Alder und Ewald Alder ./. Sabina Or?owska und Czes?aw Or?owski

Sind Art. 1 Abs. 1 EuZustVO in den Mitgliedstaaten sowie Art. 18 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union dahin auszulegen, dass es zulässig ist, die für eine Person mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat bestimmten gerichtlichen Schreiben in der Gerichtsakte zu belassen, mit der Folge, dass diese als zugestellt gelten, wenn diese Person keinen Zustellungsbevollmächtigten benannt hat, der seinen Wohnsitz in dem Mitgliedstaat hat, in dem das Gerichtsverfahren anhängig ist?


Heilung von Zustellungsmängeln und HZÜ

BGH 14.9.2011 – XII ZR 168/09

1. Werden bei einer Auslandszustellung nach dem Haager Zustellungsübereinkommen (HZÜ) vom 15.11.1965 die Anforderungen dieses Abkommens gewahrt und bei der Zustellung nur Formvorschriften des Verfahrensrechts des Zustellungsstaates verletzt, wird der Zustellungsmangel nach § 189 ZPO geheilt, wenn das Schriftstück dem Zustellungsempfänger tatsächlich zugegangen ist.

2. Dies gilt auch dann, wenn das gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. a HZÜ anwendbare Recht des Zustellungsstaates eine Heilung nicht vorsieht.


Art. 34 Nr. 2 EuGVVO und tatsächliche Wahrung der Verteidigungsrechte

BGH 3.8.2011 – XII ZB 187/10

1. Art. 34 Nr. 2 EuGVVO stellt nicht auf die formal ordnungsgemäße Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks nach Art. 8 EuZustVO 2000, sondern auf die tatsächliche Wahrung der Verteidigungsrechte ab. Diese gelten als gewahrt, wenn der Beklagte Kenntnis vom laufenden Gerichtsverfahren erlangt hat und deswegen seine Rechte geltend machen konnte.

2. Im Hinblick auf den Zweck des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO, das rechtliche Gehör des Beklagten zu gewährleisten, gilt als Einlassung im Sinne der Vorschrift jedes Verhandeln, aus dem sich ergibt, dass der Beklagte von dem gegen ihn eingeleiteten Verfahren Kenntnis erlangt und die Möglichkeit der Verteidigung gegen den Angriff des Klägers erhalten hat, es sei denn, sein Vorbringen beschränkt sich darauf, den Fortgang des Verfahrens zu rügen, weil das Gericht unzuständig sei oder weil die Zustellung nicht so erfolgt sei, dass er sich verteidigen könne. Ein Beklagter, der sich auf das Verfahren eingelassen hat, kann sich zumindest dann nicht mehr auf das Vollstreckungshindernis berufen, wenn er Gelegenheit zur Verteidigung erhalten hat.

3. Grundsätzlich ist die Rüge eines Verstoßes gegen den verfahrensrechtlichen ordre public dann ausgeschlossen, wenn der Antragsgegner des Vollstreckbarkeitsverfahrens im Erkenntnisverfahren nicht alle nach dem Recht des Ursprungsstaates statthaften, zulässigen und zumutbaren Rechtsmittel ausgeschöpft hat. Weil dadurch die Rechtsposition des Beklagten nicht unerheblich eingeschränkt wird, setzt dies voraus, dass der Beklagte nicht nur von der Existenz eines Urteils, sondern auch von dessen genauem Inhalt Kenntnis erlangt hat.


Grenzüberschreitende Nachrangigkeit kapitalersetzender Gesellschafterdarlehen

BGH 21.7.2011 – IX ZR 185/10

Die Regelungen über die Nachrangigkeit kapitalersetzender Gesellschafterdarlehen nach § 32a GmbHG a.F., § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO a.F. finden auf Kapitalgesellschaften, über deren Vermögen in Deutschland das Hauptinsolvenzverfahren eröffnet worden ist, auch dann Anwendung, wenn diese in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union gegründet worden sind.


Sitz der Gesellschaft im Sinne von Art. 22 Nr. 2 EuGVVO

BGH 12.7.2011 – II ZR 28/10

Wo sich der für die ausschließliche internationale Zuständigkeit nach Art. 22 Nr. 2 EuGVVO maßgebliche Sitz der Gesellschaft in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union befindet, bestimmt sich bei Klagen nach dieser Vorschrift nach der Gründungstheorie und damit grundsätzlich nach dem Satzungssitz im Herkunftsstaat.


Sorgeerklärungen und Auswanderungsentschluss

BGH 16.3.2011 – XII ZB 407/10

1. Sorgeerklärungen können formwirksam gemäß § 1626d BGB auch in Form einer gerichtlich gebilligten Elternvereinbarung erfolgen. 

2. Die Motive des Elternteils für seinen Auswanderungsentschluss stehen grundsätzlich genauso wenig zur Überprüfung des Familiengerichts wie sein Wunsch, in seine Heimat zurückzukehren. Verfolgt der Elternteil mit der Übersiedlung allerdings (auch) den Zweck, den Kontakt zwischen dem Kind und dem anderen Elternteil zu vereiteln, steht die Bindungstoleranz des betreuenden Elternteils und somit seine Erziehungseignung in Frage. 

3. Das Gericht darf die Verfahrenspflegschaft nicht dadurch ineffektiv machen, dass es ohne nachvollziehbare Begründung den mit der Angelegenheit und vor allem dem Kind vertrauten Verfahrenspfleger kurz vor Abschluss des Sorgerechtsverfahrens entpflichtet und einen neuen bestellt, der nicht mehr die Möglichkeit hat, sich in angemessener Weise mit der Sache vertraut zu machen.


Wiederaufleben des Urheberrechts an Werken verfemter russischer Künstler

OLG Köln 23.9.2011 – 6 U 66/11

1. Zum Wiederaufleben des Urheberrechts an Werken von vor 1943 verstorbenen unterdrückten russischen Künstlern.

2. Zum Zeitpunkt der Entstehung von Schadensersatz- und vorbereitenden Auskunftsansprüchen der Erben solcher wiederaufgelebten Rechte.
(Mitgeteilt von RiOLG Joachim Hellfeld, Köln)


Anordnung nach § 101 Abs. 9 UrhG gegen Internet-Service-Provider mit UK-Sitz

OLG München 12.9.2011 – 29 W 1634/11

1. Die Zuständigkeit der deutschen Gerichte für eine richterliche Anordnung nach § 101 Abs. 9 UrhG kann nicht auf Art. 5 Nr. 3 EuGVVO gestützt werden, wenn der betreffende Internet-Service-Provider seinen Sitz in Großbritannien hat. Das Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG stellt keine Rechtsstreitigkeit im Sinne der EuGVVO dar. Es handelt sich dabei nicht um ein gegen einen Dritten gerichtetes kontradiktorisches Auskunftsverfahren, sondern um ein Verfahren betreffend eine (vorherige) gerichtliche Entscheidung, welche die Verwendung von Verkehrsdaten zur Auskunftserteilung zulässt.

2. Verletzte im Sinne des § 101 Abs. 9 Satz 1 UrhG sind, bezogen auf § 85 UrhG, der Inhaber eines Leistungsschutzrechts nach § 85 UrhG sowie der Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechts bezüglich eines solchen Leistungsschutzrechts. Der Inhaber eines diesbezüglichen einfachen Nutzungsrechts ist hingegen nicht Verletzter.
(Mitgeteilt von RiOLG Ulrich Kartzke, München)


Art. 8 Abs. 2 deutsch-iranisches Niederlassungsabkommen

OLG Celle 15.8.2011 – 10 WF 73/11

1. Für die von einem deutschen Gericht auszusprechende Scheidung von Eheleuten, die bei Eheschließung ausschließlich eine gemeinsame ausländische (hier: iranische) Staatsangehörigkeit hatten und diese Staatsangehörigkeit nie verloren haben, ist (iranisches) Heimatrecht gemäß Artt. 17 Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. EGBGB berufen, wenn der antragstellende Ehemann im Zeitpunkt des Eintritts der Rechthängigkeit zusätzlich die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat.

2. Hat der Ehemann seine bei Eintritt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages vorhandene zusätzliche deutsche Staatsangehörigkeit im Laufe des schwebenden Verbundverfahrens verloren und sind beide Eheleute wieder allein iranische Staatsangehörige, so ist gemäß Art. 8 Abs. 2 NiederlAbk IRN umfassend und ausschließlich iranisches Sachrecht berufen.

3. Die Frage des berufenen Sachrechts stellt in dieser Ausgangslage keine entscheidungserhebliche, bislang nicht abschließend geklärte schwierige Rechtfrage dar, die eine Erstreckung von Verfahrenskostenhilfe auf Ansprüche in Folgesachen, die allein unter Anwendung deutschen Sachrechtes in Betracht kommen, begründen könnte, da sowohl Art. 8 Abs. 2 NiederlAbk IRN als auch Art. 17 Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB übereinstimmend zur Anwendbarkeit iranischen Sachrechts führen.

4. Die Regelungen des iranisch-schiitischen Rechts, nach denen die Ehefrau – unabhängig von der Betreuung eines minderjährigen Kindes aus der Ehe – keinen längerfristigen nachehelichen Unterhalt beanspruchen kann, sind jedenfalls in den Fällen unproblematisch mit dem deutschen ordre public vereinbar, in denen das Kind bereits die Schule besucht und besondere kind- oder elternbezogene Billigkeitsgründe für weitergehenden Unterhalt im Sinne von "http://www.juris.de/jportal/portal/t/14yq/page/page/jurisw.psml?pid=
Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults
=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR001950896BJNE149803377&doc.part=S&doc.price=0.0" \l "focuspoin §§ 1570 Abs. 1 Satz 1 und  "http://www.juris.de/jportal/portal/t/14yq/page/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&
showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc
=yes&doc.id=BJNR001950896BJNE000202377&doc.part=S&doc.price=0.0" \l "focuspoin 2 sowie 1615l Abs. 2 Satz 4 und 5 BGB weder ersichtlich noch dargetan sind.

5. Auf die Klausel in einem nach iranischem Recht geschlossenen Ehevertrag, nach der sich der Ehemann verpflichtet, unter bestimmten Voraussetzungen „gemäß dem Urteil des Gerichts bis zur Hälfte seines während der Ehe erworbenen Vermögens oder dessen Äquivalent an die Ehefrau zu übertragen“, kann ohne substantiierte Darlegung zu ausdrücklich vereinbarten oder aus anderen Gesichtspunkten – etwa einer diesbezüglichen iranischen Rechtspraxis - herzuleitenden Maßstäben zur Ausfüllung des in der Vereinbarung in keiner Weise festgelegten Umfanges der Übertragung ein Ausgleichs-Anspruch nicht er-folgreich gestützt werden. 
(Mitgeteilt von RiOLG Christian Heck, Celle)


Vaterschaftsanfechtungsklage nach ghanaischem Sachrecht

OLG Hamburg 22.7.2011 – 12 UF 61/08

1. Zu einer Vaterschaftsanfechtungsklage nach ghanaischem Sachrecht. 

2. Zur Unbeachtlichkeit einer vom ghanaischen internationalen Privatrecht etwaig ausgesprochenen Rückverweisung auf das deutsche Recht. 


Zuständigkeit für eine parteierweiternde Widerklage gegen einen Dritten und Art. 6 Nr. 3 LugÜ

OLG München 30.6.2011 – 29 U 5499/10

1. Art. 6 Nr. 3 LugÜ begründet keine Zuständigkeit für eine parteierweiternde Widerklage gegen einen Dritten, sondern nur für eine Widerklage gegen den ursprünglichen Kläger.
2. Ansprüche auf Vertragsstrafenzahlung sind als Ansprüche aus einem Vertrag im Sinne von Art. 5 Nr. 1 Halbsatz 1 LugÜ einzustufen.

3. Der Erfüllungsort bezüglich der Verpflichtung zur Zahlung einer unselbständigen Vertragsstrafe liegt nach deutschem Recht wegen des akzessorischen Charakters derartiger Vertragsstrafen dort, wo die strafbewehrte Hauptverpflichtung zu erfüllen ist.
(Mitgeteilt von RiOLG Ulrich Kartzke, München) 


Limited by shares kann nicht wegen Vermögenslosigkeit nach § 394 FamFG gelöscht werden

OLG Frankfurt 17.5.2011 – 20 W 163/10

Die im Handelsregister eingetragene Zweigniederlassung einer in Großbritannien registrierten Limited by shares kann nicht wegen Vermögenslosigkeit nach § 394 FamFG gelöscht werden.


Intertemporale Anwendung des KSÜ

OLG Saarbrücken 1.4.2011 – 6 UF 6/11

1. Das am 1.1.2011 für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getretene KSÜ ist hinsichtlich der Frage des anwendbaren Rechts auch auf Verfahren anwendbar, die vor diesem Tag eingeleitet wurden.

2. Zur vollständigen Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge bei steten und massiven Herabwürdigungen eines Elternteils durch den anderen.


Immunität der Angestellten der irakischen Botschaft

EGMR  29.6.2011 – Application no. 34869/05 – Sabeh El Leil v. France

1. Frankreich verletzt Art. 6 Abs. 1 EMRK, wenn sich nationale Gerichte mit Hinweis auf die staatliche Immunität des Arbeitgebers weigern, über den Arbeitsgerichtsprozess eines ehemaligen Angestellten der irakischen Botschaft in Paris zu entscheiden, der weder irakischer Staatsangehöriger ist, noch eine Funktion ausgeübt hat, die mit der Souveränität des Staates in Zusammenhang steht.

2. Zur United Nations Convention on Jurisdictional Immunities of States and Their Property 2004 als Gewohnheitsrecht.


USA: Interlokales Deliktsrecht

New York Court of Appeals 30.6.2011 – Edwards v. Erie Coach Lines Co. 2011 NY Slip Op 05583 (Nos. 131, 132, 133, 134, 135, 136)

Rechtswahl bei sechs Klagen auf Schadensersatz wegen widerrechtlicher Tötung und Körperverletzung aufgrund eines Unfalls des Charterbuses eines Damen-Hockeyteams aus Ontario mit einem Sattelzug, welcher sich im Staate New York ereignet hat.


Veranstaltungshinweise

Am 7.11.2011 lädt die Interdisziplinäre Gesellschaft für Komparistik und Kollisionsrecht (IGKK) in Wien zu einem Vortrag von Professor Dr. Dr. Pierre Legrand – Professor an der Université Paris I Panthéon-Sorbonne – mit dem Thema „The Third Space“ ein. Der Vortrag beginnt um 18.30 Uhr und findet in englischer Sprache statt. Um Anmeldung wird bis zum 4.11.2011 gebeten. Weitere Informationen unter: http:// www.isdc.ch/d2wfiles/document/4190/4018/0/Invitation%20Prof%20%20Legrand.pdf.

Vom 30.7.–17.8.2012 bietet die Haager Akademie für Internationales Recht ihren Sommerkurs im Internationalen Privatrecht an. Das Programm beginnt am 30.7.2012 mit einer Eröffnungsvorlesung von Didier Operetti Badán zu „Conflicts of Laws and Uniform Law in Contemporary Private International Law: Dilemma or Convergence?“. Vom 6.–17.8. hält Jürgen Basedow den „General Course“. Anmeldungen sind ab dem 1.11.2011 möglich. Weitere Informationen und Programm unter: http://www.hagueacademy.nl/?summer-programme/private-international-law.

Am 25./26.11.2011 richtet die Universität Mailand zusammen mit der Universität Padua, der Universität Heidelberg and der Ludwig-Maximilians-Universität München eine Tagung zum Thema „Deutsch-Italienische Kooperation im Rahmen der Neufassung der Brüssel I-Verordnung“ aus. Die Tagung findet in der Aula 6 in der Via Conservatorio 7 der Universität Mailand statt. Arbeitssprachen sind Englisch, Italienisch und Deutsch. Weitere Informationen und ein ausführliches Programm unter:http://podstudy.spolitiche.unimi.it/sandbox/groups/coopitalotedesca/weblog/a1713/attachment
s/4c5a6/Pieghevole.pdf?sessionID=cfd7a57aa2df7549f86d1870e25317ff51bfaff9

Stand: 04.01.2011