zum Inhalt springen

IPRax Heft 2016, 1

Neueste Informationen IPRax 1/2016

Aktualisierung der Informationen gemäß Art. 76 EuGVVO

Am 24.11.2015 wurde die Erste Aktualisierung der Informationen gemäß Art. 76 EuGVVO im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht (ABl. EU 2015, C 390/10). Darin enthalten sind die Meldungen der Mitgliedsstaaten bezüglich innerstaatlicher Zuständigkeitsvorschriften nach Art. 5 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 2 EuGVVO, Vorschriften für die Streitverkündung nach Art. 65 EuGVVO sowie Übereinkünfte nach Art. 69 EuGVVO.

Reform des schweizerischen IPRG betreffend Konkurs und Nachlassvertrag

Das schweizerische Bundesamt für Justiz hat den Vorentwurf inkl. erläuterndem Bericht zur Revision des 11. Kapitels des IPRG („Konkurs und Nachlassvertrag“) veröffentlicht. Er ist abrufbar unter http://www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/aktuell/news/2015/2015-10-141.html.

Art. 23 lit. a EuEheVO: Anerkennungversagung allein bei gestörtem Kindeswohl

EuGH 19.11.2015 – Rs. C-455/15 PPU – P ./. Q

Art. 23 lit. a EuEheVO ist dahin auszulegen, dass diese Bestimmung es einem Gericht eines Mitgliedstaats, das seine Zuständigkeit für die Entscheidung über das Sorgerecht für ein Kind bejaht, nicht gestattet, der von einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats getroffenen Entscheidung über das Sorgerecht für dieses Kind die Anerkennung zu versagen, sofern unter Berücksichtigung des Wohls des Kindes keine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung eines Mitgliedstaats als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts vorliegt.

Art. 16 EuZustVO und außergerichtliche Schriftstücke

EuGH 11.11.2015 – Rs. C-223/14 – Tecom Mican SL und José Arias Domínguez

1. Art. 16 EuZustVO ist dahin auszulegen, dass der Begriff „außergerichtliches Schriftstück“ in diesem Artikel nicht nur von einer Behörde oder einer Amtsperson erstellte oder beglaubigte Schriftstücke erfasst, sondern auch private Schriftstücke, deren förmliche Übermittlung an ihren im Ausland ansässigen Empfänger zur Geltendmachung, zum Beweis oder zur Wahrung eines Rechts oder Anspruchs in Zivil- oder Handelssachen erforderlich ist.

2. Die EuZustVO ist dahin auszulegen, dass die Zustellung eines außergerichtlichen Schriftstücks nach Maßgabe der in der EuZustVO festgelegten Modalitäten auch dann zulässig ist, wenn der Antragsteller bereits eine erste Zustellung auf einem in der EuZustVO nicht vorgesehenen Übermittlungsweg oder auf eine andere der in der EuZustVO vorgesehenen Übermittlungsarten bewirkt hat.

3. Art. 16 EuZustVO ist dahin auszulegen, dass, wenn alle Voraussetzungen für seine Anwendung erfüllt sind, nicht im Einzelfall zu überprüfen ist, dass die Zustellung eines außergerichtlichen Schriftstücks einen grenzüberschreitenden Bezug aufweist und für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich ist.

Art. 20 Abs. 2 EuMahnVO: Keine révision au fond

EuGH 22.10.2015 – Rs. C-245/14 – Thomas Cook Belgium NV ./. Thurner Hotel GmbH

Art. 20 Abs. 2 EuMahnVO ist dahin auszulegen, dass er es unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren fraglichen einem Antragsgegner, dem ein Europäischer Zahlungsbefehl nach der EuMahnVO wirksam zugestellt worden ist, nicht gestattet, die gerichtliche Überprüfung dieses Zahlungsbefehls mit der Begründung zu beantragen, dass sich das Ursprungsgericht unter Berufung auf falsche Angaben des Antragstellers im Antragsformular dieses Zahlungsbefehls zu Unrecht für zuständig erklärt habe.

Siehe dazu Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2016, 1, 26 (in diesem Heft)

EuEheVO erfasst auch Verwaltungsverfahrens zur Ausstellung eines kindlichen Reisepasses gegen Elternteil

EuGH 21.10.2015 – Rs. C-215/15 – Vasilka Ivanova Gogova ./. Ilia Dimitrov Iliev

1. Die Klage, mit der ein Elternteil beantragt, die fehlende Zustimmung des anderen Elternteils zu einer Reise ihres Kindes außerhalb des Aufenthaltsmitgliedstaats des Kindes und zur Ausstellung eines Reisepasses auf dessen Namen zu ersetzen, fällt in den sachlichen Anwendungsbereich der EuEheVO, und zwar auch dann, wenn die auf diese Klage ergehende Entscheidung von den Behörden des Mitgliedstaats, dessen Staatsangehöriger das Kind ist, im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zur Ausstellung dieses Reisepasses zu berücksichtigen sein wird.

2. Art. 12 Abs. 3 lit. b EuEheVO ist dahin auszulegen, dass die Zuständigkeit der für die Entscheidung über eine Klage auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung angerufenen Gerichte nicht als von „alle[n] Parteien des Verfahrens […] ausdrücklich oder auf andere eindeutige Weise anerkannt“ im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann, nur weil der den Beklagten vertretende Abwesenheitsvertreter, der von Amts wegen von diesen Gerichten bestellt worden ist, weil dem Beklagten die Klageschrift nicht zugestellt werden konnte, die Unzuständigkeit dieser Gerichte nicht gerügt hat.

Siehe dazu Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2016, 1, 19 f. (in diesem Heft)

USA und personenbezogene Daten aus einem Mitgliedstaat: Save Harbor?

EuGH 6.10.2015 – Rs. C-362/14 – Maximillian Schrems ./. Data Protection Commissioner

1. Art. 25 Abs. 6 der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.10.1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.9.2003 geänderten Fassung ist im Licht der Art. 7, 8 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass eine aufgrund dieser Bestimmung ergangene Entscheidung wie die Entscheidung 2000/520/EG der Kommission vom 26.7.2000 gemäß der Richtlinie 95/46 über die Angemessenheit des von den Grundsätzen des „sicheren Hafens“ und der diesbezüglichen „Häufig gestellten Fragen“ (FAQ) gewährleisteten Schutzes, vorgelegt vom Handelsministerium der USA, in der die Europäische Kommission feststellt, dass ein Drittland ein angemessenes Schutzniveau gewährleistet, eine Kontrollstelle eines Mitgliedstaats im Sinne von Art. 28 der Richtlinie in geänderter Fassung nicht daran hindert, die Eingabe einer Person zu prüfen, die sich auf den Schutz ihrer Rechte und Freiheiten bei der Verarbeitung sie betreffender personenbezogener Daten, die aus einem Mitgliedstaat in dieses Drittland übermittelt wurden, bezieht, wenn diese Person geltend macht, dass das Recht und die Praxis dieses Landes kein angemessenes Schutzniveau gewährleisteten.

2. Die Entscheidung 2000/520 ist ungültig.

Unzureichender Rechtsschutz bei der EuVTVO

Schlussanträge des Generalanwalts Pedro Cruz Villalón vom 8.9.2015 – Rs. C-300/14 – Imtech Marine Belgium NV ./. Radio Hellenic SA

1. Der bloße Umstand, dass das nationale Recht möglicherweise kein spezielles Überprüfungsverfahren gemäß Art. 19 EuVTVO für unbestrittene Forderungen vorsieht, begründet keine Verletzung von Art. 288 AEUV.

2. Um eine Bestätigung von Entscheidungen der Gerichte eines Mitgliedstaats als Europäische Vollstreckungstitel vornehmen zu können, reicht es nicht aus, dass die Rechtsordnung dieses Staates die Möglichkeit vorsieht, eine Überprüfung zu beantragen, wenn dem Schuldner eine Ladung oder ein verfahrenseinleitendes Schriftstück in einer der in Art. 14 EuVTVO genannten Formen zugestellt wurde und die weiteren in Art. 19 Abs. 1 lit. a EuVTVO genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Darüber hinaus muss die Rechtsordnung dieses Mitgliedstaats auch eine Überprüfung gestatten, wenn der Schuldner (auch bei Zustellungen gemäß Art. 13 EuVTVO) aufgrund von höherer Gewalt oder aufgrund außergewöhnlicher Umstände ohne eigenes Verschulden der Forderung nicht widersprechen konnte. Das vom Mitgliedstaat gewählte Verfahren muss die Verteidigungsrechte des Schuldners und sein Recht auf ein faires Verfahren hinreichend gewährleisten und eine vollständige Überprüfung der Entscheidung ermöglichen, die nicht auf Rechtsfragen beschränkt ist.

3. Die Mindestvorschriften für eine Überprüfung in Ausnahmefällen sind nicht eingehalten, wenn die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats es dem Schuldner verwehren, nach Ablauf einer Frist, die mit dem Zeitpunkt der Zustellung beginnt und nicht mit dem Zeitpunkt, zu dem er vom Inhalt des zugestellten Schriftstücks tatsächlich Kenntnis erlangt hat, eine Überprüfung der Entscheidung zu beantragen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu entscheiden, ob das nationale Verfahrensrecht und dessen Auslegung durch die Gerichte des Mitgliedstaats eine Verlängerung der Fristen zur Anfechtung einer Entscheidung über eine unbestrittene Forderung nicht nur in Fällen höherer Gewalt gestatten, sondern auch – wie in Art. 19 EuVTVO vorgesehen – bei Vorliegen anderer außergewöhnlicher Umstände, die ohne Verschulden des Schuldners eingetreten sind und die ihn daran gehindert haben können, der Forderung zu widersprechen.

4. Die Entscheidung über die Bestätigung der gerichtlichen Entscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel muss dem Richter vorbehalten bleiben, wobei die Ausstellung der entsprechenden Bestätigung dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle überlassen werden kann.

5. Die fünfte Vorlagefrage ist nicht zu beantworten.

Vertragsgerichtsstand bei Fluggastbeförderung: Umsteigeort als Abflugort, Fluggastentschädigung als vertraglicher Anspruch begründet?

Vorabentscheidungsersuchen des BGH an den EuGH vom 18.8.2015 – X ZR 2/15

1. Ist Art. 5 Nr. 1 lit. a EuGVVO 2001 dahin auszulegen, dass der Begriff „Ansprüche aus einem Vertrag“ auch einen Anspruch auf Ausgleichszahlung nach Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.2.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 296/91 erfasst, der gegenüber einem ausführenden Luftfahrtunternehmen verfolgt wird, welches nicht Vertragspartner des betroffenen Fluggasts ist?

2. Soweit Art. 5 Nr. 1 EuGVVO 2001 Anwendung findet:

Ist bei einer Personenbeförderung auf einer aus mehreren Flügen bestehenden Flugverbindung ohne nennenswerten Aufenthalt auf den Umsteigeflughäfen der Abflugort der ersten Teilstrecke als Erfüllungsort gemäß Art. 5 Nr. 1 lit. b zweiter Spiegelstrich EuGVVO 2001 anzusehen, auch wenn die Flugverbindung von unterschiedlichen Luftfahrtunternehmen durchgeführt worden ist und sich die Klage gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen einer anderen Teilstrecke richtet, auf der es zu einer großen Verspätung gekommen ist?

EuEheVO: Ungültigerklärung einer Ehe nach dem Tod I

Vorabentscheidungsersuchen des Supreme Court (Irland) 4.8.2015 – Rs. C-428/15 – Child and Family Agency (CAFA) ./. J. D.

1. Fallen Verfahren über die Ungültigerklärung einer Ehe nach dem Tod eines der Ehegatten in den Anwendungsbereich der EuEheVO?

2. Falls die Frage 1 bejaht wird: Erfasst der Anwendungsbereich der EuEheVO auch Verfahren über die Ungültigerklärung einer Ehe, die von einer anderen Person als einem der Ehegatten in Gang gesetzt worden sind?

3. Falls die Frage 2 bejaht wird: Kann in Verfahren über die Ungültigerklärung einer Ehe, die von einer anderen Person als einem der Ehegatten in Gang gesetzt worden sind, die Zuständigkeit des Gerichts auf die in Art. 3 Abs. 1 lit. a fünfter und sechster Gedankenstrich EuEheVO angeführten Grundlagen gestützt werden?

EuEheVO: Ungültigerklärung einer Ehe nach dem Tod II

Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Apelacyjny w Warszawie (Polen) 17.6.2015 – Rs. C-294/15 – Edyta Mikołajczyk ./. Marie Louise Czarnecka, Stefan Czarnecki

1. Fallen Verfahren über die Ungültigerklärung einer Ehe nach dem Tod eines der Ehegatten in den Anwendungsbereich der EuEheVO?

2. Falls die Frage 1 bejaht wird: Erfasst der Anwendungsbereich der oben genannten Verordnung auch Verfahren über die Ungültigerklärung einer Ehe, die von einer anderen Person als einem der Ehegatten in Gang gesetzt worden sind?

3. Falls die Frage 2 bejaht wird: Kann in Verfahren über die Ungültigerklärung einer Ehe, die von einer anderen Person als einem der Ehegatten in Gang gesetzt worden sind, die Zuständigkeit des Gerichts auf die in Art. 3 Abs. 1 lit. a fünfter und sechster Gedankenstrich EuEheVO angeführten Grundlagen gestützt werden?

Art. 24 Nr. 1 EuGVVO und Folgen der Nichtigkeit des Kausalgeschäfts

Vorabentscheidungsersuchen des LG für Zivilrechtssachen Wien 29.7.2015 – Rs. C-417/15 – Wolfgang Schmidt ./. Christiane Schmidt

Fällt ein Prozess über die Aufhebung eines Schenkungsvertrages wegen Geschäftsunfähigkeit des Geschenkgebers und Einverleibung der Löschung des Eigentumsrechtes für den Geschenknehmer unter die Bestimmung des Art. 24 Nr. 1 EuGVVO, der eine ausschließliche Zuständigkeit für dingliche Rechte an einer unbeweglichen Sache vorsieht?

Dienstleistungen im Sinne des Art. 5 Abs. 2 EVÜ: Kreditgewährung und Versicherungsabschluss

Vorabentscheidungsersuchen des LG Itzehoe 23.7.2015 – Rs. C-397/15 – Raiffeisen Privatbank Liechtenstein AG ./. Gerhild Lukath

1. Ist der Vertrag zwischen einer Bank und einem Verbraucher über die Gewährung eines Kredits, der verbunden ist mit einem Vertrag über den Abschluss einer Lebensversicherung und einem Vertrag über die Beratung und Vermittlung einer Kapitalanlage, die ihrerseits die Kreditsumme besichert, als Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen im Sinne des Art. 5 Abs. 2 EVÜ anzusehen?

2. Ist Art. 5 Abs. 2 EVÜ auch auf solche Fälle anwendbar, in denen die Werbung bzw. Kontaktaufnahme von einem Land ausgeht, in dem der Verbraucher seinen Hauptwohnsitz hat, der Verbraucher die Verträge aber an seinem Nebenwohnsitz unterschreibt, wenn der Vertragspartner des Verbrauchers oder sein Vertreter die Bestellung des Verbrauchers im Staat des Hauptwohnsitzes entgegen genommen hat[?]

EuZustVO und portugiesisches Zustellungsrecht

Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal da Relação de Évora (Portugal) 13.7.2015 – Rs. C-354/15 – Andrew Marcus Henderson ./. Novo Banco SA

1. Kann ein portugiesisches Gericht, bei dem ein Zivilverfahren gegen einen Bürger mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union anhängig ist, wenn es die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks per Einschreiben mit Rückschein an diesen Bürger angeordnet hat und der Rückschein nicht zurückgesandt wird, unter Berücksichtigung der EuZustVO und der dieser zugrundeliegenden Grundsätze auf der Grundlage der Dokumentation des Postbetreibers am Wohnort des Empfängers des Briefs, die die Aushändigung des Einschreibens mit Rückschein an den Empfänger belegt, davon ausgehen, dass die betreffende Zustellung erfolgt ist?

2. Verstößt die Anwendung von Art. 230 des portugiesischen Código de Processo Civil im in der ersten Frage genannten Fall gegen die EuZustVO und die dieser zugrundeliegenden Grundsätze?

3. Verstößt die Anwendung von Art. 191 Abs. 2 des portugiesischen Código de Processo Civil auf den vorliegenden Fall gegen die EuZustVO und die dieser zugrundeliegenden Grundsätze?

Widerlegung der Vermutung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen nach Art. 3 EuInsVO

Vorabentscheidungsersuchen der Corte di Appello di Bari (Italien) 13.7.2015 – Rs. C-353/15 – Leonmobili Srl, Gennaro Leone ./. Homag Holzbearbeitungssysteme GmbH u.a.

1. Kann, wenn es in einem anderen Mitgliedstaat keine Niederlassungen gibt und eine Partei die Zuständigkeit bestreitet, die Vermutung nach Art. 3 Abs. 1 a.E. und Abs. 2 EuInsVO mit dem Beweis widerlegt werden, dass sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem das Unternehmen seinen Gesellschaftssitz hat, befindet?

2. Falls die vorstehende Frage bejaht wird: Kann der Beweis mit einer anderen Vermutung geführt werden, d.h. mit der Beurteilung von Indizien, aus denen logisch geschlossen werden kann, dass sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen in einem anderen Mitgliedstaat befindet?

EuBewVO und Aktenbeiziehung

BVerfG 14.9.2015 – 1 BvR 1321/13

Zur der Frage, ob die EuBewVO einem deutschen Gericht ermöglicht, (Original-)Akten aus einem anderen Mitgliedstaat beizuziehen.

Art. 4 Abs. 1 EuInsVO Einzelgläubigeranfechtung und Insolvenzstatut

BGH 12.11.2015 – IX ZR 301/14

1. Eine dem Schuldner erteilte Restschuldbefreiung steht der Gläubigeranfechtung jedenfalls dann nicht entgegen, wenn der Gläubiger die Anfechtungsklage bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erhoben hat und die Anfechtung Rechtshandlungen betrifft, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind.

2. Die Auswirkungen einer Insolvenz auf das Recht der Einzelgläubigeranfechtung sind nicht Gegenstand des Insolvenzstatuts nach Art. 4 Abs. 1 EuInsVO.

Zahlungsklage des Insolvenzverwalters und Pfändungspfandrecht nach der lex causae

BGH 15.10.2015 – IX ZR 265/12

Ist die Zahlungsklage des Verwalters in einem in Deutschland eröffneten Insolvenzverfahren über eine Gesellschaft nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates (hier: Österreich) gegen einen Insolvenzgläubiger nach deutschem Recht begründet, weil das der nach Eröffnung erfolgten Auszahlung zugrunde liegende Pfändungspfandrecht infolge der Rückschlagsperre gemäß § 88 InsO und die Auszahlung an den Gläubiger gemäß § 91 InsO unwirksam waren, steht der Umstand, dass das Pfändungspfandrecht nach der lex causae (hier: dem österreichischen Recht) wirksam geblieben ist, dem Erfolg der Klage nicht entgegen, wenn die Auszahlung ihrerseits nach der lex causae insolvenzrechtlich wirksam angefochten worden ist. Die Auszahlung des Geldes ist jedoch nach dem Recht der lex causae in keiner Weise angreifbar im Sinne des Art. 13 EuInsVO, wenn die nach diesem Recht geltenden Verjährungs-, Anfechtungs- oder Ausschlussfristen oder die Formvorschriften nicht eingehalten sind (im Anschluss an EuGH [16.4.2015 – C-557/13], ZIP 2015, 1030).

Umgangstitel und grenzüberschreitender Rechtsschutz

BGH 30.9.2015 – XII ZB 635/14

1. Bei der Vollstreckung eines als einstweilige Anordnung erlassenen Umgangstitels handelt es sich um ein selbstständiges Verfahren mit einem eigenständigen Rechtsmittelzug, weshalb § 70 Abs. 4 FamFG die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde nicht hindert.

2. Die Vorschrift des § 99 Abs. 1 FamFG regelt die internationale Zuständigkeit auch für die Vollstreckung von Entscheidungen über das Umgangsrecht, wenn sich nicht aus Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, oder Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft anderes ergibt.

3. Daher sind die deutschen Gerichte für die Vollstreckung eines Umgangstitels auch dann international zuständig, wenn das Kind Deutscher ist, aber seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat und vorgehende Bestimmungen im Sinne des § 97 Abs. 1 FamFG fehlen.

Rechtsschutz bei exequaturbedürftigen Unterhaltstiteln

BGH 23.9.2015 – XII ZB 234/15

Auch im Verfahren der Vollstreckbarerklärung exequaturbedürftiger Unterhaltstitel nach Kapitel IV Abschnitt 2 der EuUnterhVO haben die mit einem Rechtsbehelf nach Art. 32 oder Art. 33 EuUnterhVO befassten Gerichte bis zum rechtskräftigen Abschluss des Exequaturverfahrens uneingeschränkt zu prüfen, ob und gegebenenfalls inwieweit die ausländische Entscheidung im Ursprungsstaat bereits aufgehoben oder abgeändert worden ist.

Internationale Zuständigkeit bei Kaufpreisklage eines Insolvenzverwalters

BGH 16.9.2015 – VIII ZR 17/15

Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für die Kaufpreisklage eines Insolvenzverwalters am inländischen Sitz des Insolvenzgerichts aus einem vom inländischen Insolvenzschuldner vor Einleitung des Insolvenzverfahrens geschlossenen Kaufvertrag mit einem im EU-Ausland ansässigen Käufer – hier auf Kaufpreiszahlung in Anspruch genommener Mitverpflichteter – bestimmt sich auch dann nicht nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, sondern nach den Bestimmungen der EuGVVO, wenn der in Anspruch Genommene hilfsweise die Aufrechnung mit Gegenforderungen erklärt und der Insolvenzverwalter die Aufrechnungen als gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unwirksam ansieht.

Erstreckung englischer Insolvenzwirkungen

BGH 10.9.2015 – IX ZR 304/13

Zur Anerkennung der Wirkungen eines Insolvenzverfahrens nach englischem Recht im Inland.

Vollstreckbarerklärung eines polnischen Urteils und deutscher ordre public

BGH 10.9.2015 – IX ZB 39/13

1. Die Vollstreckbarerklärung eines polnischen Urteils verstößt gegen den deutschen verfahrensrechtlichen ordre public international, wenn das polnische Gericht, weil der in Deutschland wohnende Beklagte keinen in Polen ansässigen Prozessbevollmächtigten oder Zustellungsbevollmächtigten bestellt hat, gemäß Art. 1135 § 2 des polnischen Zivilverfahrensgesetzbuchs die für diese Partei bestimmten gerichtlichen Schriftstücke in der Gerichtsakte belassen und als zugestellt behandelt hat.

2. Die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Urteils verstößt gegen den deutschen verfahrensrechtlichen ordre public international, wenn es keine Begründung enthält und sich auch in Verbindung mit anderen vorgelegten Unterlagen nicht zuverlässig feststellen lässt, welchen Sachverhalt (Streitgegenstand) das Urteil betrifft.

Ermittlung des Inhalts ausländischen Rechts: Anforderungen an den Tatrichter

BGH 14.1.2015 – II ZR 192/13

Der Tatrichter darf sich bei der Ermittlung ausländischen Rechts nicht auf die Heranziehung der Rechtsquellen beschränken, sondern muss auch die konkrete Ausgestaltung des Rechts in der ausländischen Rechtspraxis, insbesondere die ausländische Rechtsprechung, berücksichtigen.

(Mitgeteilt von stud. iur. Marcel Kahl, Heidelberg)

Beschwerde in HKÜ-Verfahren

OLG Bamberg 18.11.2015 – 2 UF 228/15

1. Die Beschwerde in HKÜ-Verfahren ist nicht nur innerhalb von zwei Wochen einzulegen, sondern innerhalb der Frist auch zu begründen.

2. Die Anordnung in § 40 Abs. 2 S. 1, 2. Halbs. IntFamRVG, dass § 65 Abs. 2 FamFG nicht anzuwenden ist, führt zu keinem anderen Ergebnis (entgegen OLG Stuttgart, Beschluss vom 31.7.2015, 17 UF 127/15).

Art. 1 Abs. 1 lit. d EuVTVO und Säumnisentscheidung

OLG München 17.11.2015 – 7 W 1896/15

1. Art. 1 Abs. 1 lit. d EuVTVO etabliert bei gegen einen Verbraucher ergangenen Säumnisentscheidungen ein eigenständiges Schutzsystem dergestalt, dass gegen ihn nur in seinem Wohnsitzstaat ergangene Säumnisentscheidungen als Europäische Vollstreckungstitel bestätigt werden können.

2. Für den Fall, dass ein für beide Seiten nichtunternehmerisches Geschäft vorliegt, d.h. ein sog. C2C-Geschäft, findet die besondere Bestätigungsvoraussetzung des Art. 6 Abs. 1 lit. d EuVTVO jedoch keine Anwendung (vgl. EuGH vom 5.12.2013 – C-508/12).

Grenzen der Vollstreckbarkeit eines ausländischen Titels

OLG München 16.11.2015 – 34 Wx 314/15

1. In Zivil- und Handelssachen ergangene Gerichtsentscheidungen eines Mitgliedstaats der Europäischen Union bedürfen der Vollstreckbarerklärung im Inland, wenn das Gerichtsverfahren vor dem 10.1.2015 eingeleitet worden ist.

2. Grundlage der Zwangsvollstreckung ist in diesen Fällen nicht der ausländische Gerichtsentscheid, sondern die im Exequaturverfahren vom deutschen Gericht ausgesprochene Vollstreckbarerklärung.

3. Bezieht sich die Vollstreckbarerklärung auf einen ausländischen Titel, der seiner Art nach einem Arrestbefehl nach deutschem Recht entspricht, ist die Vollstreckung nach Ablauf der Vollziehungsfrist unstatthaft. Die Vollziehungsfrist beginnt hierbei mit der Bekanntgabe der Vollstreckbarerklärung an den Gläubiger.

Konkretisierung eines ausländischen Titels im deutschen Vollstreckungsverfahren

OLG Düsseldorf 1.9.2015 – I-3 W 95/15, 3 W 95/15

1. Zu dem bei Vollstreckbarerklärung eines vor dem Handelsgericht Wien am 15.8.2014 geschlossenen Vergleichs (hier: betreffend Entfernung/Löschung von Äußerungen im Zusammenhang mit dem Antragsteller im Internet) anzuwendenden Recht („Altfälle“).

2. Soweit in dem für vollstreckbar zu erklärenden ausländischen Titel ein unbestimmter Rechtsbegriff (hier: „Zumutbarkeit“) enthalten ist, ist der Titel nicht konkretisierungsbedürftig, soweit er im deutschen Vollstreckungsverfahren durch das für die Vollstreckung zuständige Prozessgericht (§§ 887, 888 ZPO) ohne Weiteres sachgerecht ausgelegt werden kann.

3. Zum Ausschluss des Erfüllungseinwands im Verfahren zur Vollstreckbarerklärung (Bestätigung des Senatsbeschlusses I-3 W 208/13 v. 20.11.2014 sowie der dort übernommenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss v. 10.10.2013 in Sachen BGH IX ZB 87/11 unter Bezugnahme auf EuGH 13.10.2011 – Rs. C-139/10)).

Anwendbarkeit des UN-Kaufrechts in Hongkong

OLG Koblenz 10.8.2015 – 12 U 580/11

Zur Frage der Anwendbarkeit des UN-Kaufrechts in Hongkong.

(Mitgeteilt von RA Dr. Mark-Oliver Scholz, Stuttgart)

Dynamische Verweisung aus Art. 25 Abs. 2 EuInsVO

LG Aachen 17.7.2015 – 6 T 44/15

Die Verweisung aus Art. 25 Abs. 2 EuInsVO ist dynamisch dahin zu verstehen, dass über den Verweis auf die EuGVVO auch auf die EuVTVO verwiesen wird.

Ermittlung ausländischen Rechts vor italienischen Gerichten

Corte di cassazione 30.9.2015 – n. 21712/15

Zur (richtigen) Anwendung ausländischen Rechts, d.h. inwieweit Gerichte ausländische Normen nach ausländischen Methoden auslegen und die dortige Rechtsprechung recherchieren und auswerten müssen.

(Mitgeteilt von Dr. Susanne Gössl, Bonn)

In Österreich belegenes Vermögen einer erloschenen Limited

OGH 19.3.2015 – 6 Ob 178/14s

1. Das in Österreich gelegene Vermögen einer erloschenen Limited ist einer juristischen Person, die man als „Restgesellschaft“ bezeichnen könnte, zuzuweisen, wobei zu klären ist, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Möglichkeit besteht oder bestand, im englischen Register die Wiedereintragung zu erwirken.

2. In Analogie zur Nachtragsliquidation einer österreichischen GmbH wäre eine Fortsetzung (Reaktivierung) der Restgesellschaft zu einer werbenden Gesellschaft nicht möglich.

Schweiz: Auslandswohnsitz, Auslandsbank, Auslandspfändung

Schweiz. BGer 3.9.2014 – 5A 723/2013

1. Pfändung von Bankguthaben, die der Betriebene mit Wohnsitz im Ausland bei einer ausländischen Zweigniederlassung der schweizerischen Bank als Drittschuldnerin hält (Art. 99 SchKG).

2. Eine Forderung, welche auf Beziehungen des Schuldners mit einer ausländischen Niederlassung des in der Schweiz domizilierten Drittschuldners beruht, gilt als an dessen schweizerischem Wohnsitz belegen (Bestätigung der Rechtsprechung).

Veranstaltungshinweise

§  Die Stiftung Gesellschaft für Rechtspolitik, Trier und das Institut für Rechtspolitik an der Universität Trier veranstalten am 14. und 15.1.2016 die 59. Bitburger Gespräche zum Thema „Schiedsgerichtsbarkeit und private Justiz – Rechtspolitische Herausforderungen“ in Mainz (Wissenschaftliche Leitung: Prof. Burkhard Hess). Die Veranstaltung wird die Fragen, wie viel Privatisierung die Justiz verträgt und was die Rolle staatlicher Institutionen bei der zunehmenden Privatisierung von Streitbeilegung ist, aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. Information unter: info@stiftung-gfr.de.

§  Am 25./26.2.2016 veranstalten die Erasmus School of Law in Rotterdam (Prof. Xandra Kramer) und das Max-Planck-Institut für internationales, europäisches und regulatorisches Verfahrensrecht in Luxemburg (Prof. Burkhard Hess) eine Konferenz zum Thema „From common rules to best practices in European Civil Procedure“ in Rotterdam. Ziel der Veranstaltung ist es, Experten auf dem Gebiet des Zivilprozessrechts aus der Europäischen Union und darüber hinaus zusammenzubringen und einen Beitrag zur Weiterentwicklung des europäischen Zivilprozessrechts zu leisten. Weitere Informationen und Anmeldung unter www.esl.eur.nl/congressen.

§  Vom 31.3.–2.4.2016 findet die vom Institut für Europäisches Schadenersatzrecht (ESR) und dem Europäischen Zentrum für Schadenersatz- und Versicherungsrecht (ECTIL) veranstaltete Annual Conference on European Tort Law zum fünfzehnten Mal in Wien statt. Die Konferenz informiert über die wichtigsten Entwicklungen des Schadenersatzrechts in Europa im Berichtsjahr 2015. Im Anschluss an die Veranstaltung werden die erweiterten Länderberichte im Yearbook „European Tort Law 2015“ veröffentlicht; überarbeitete Fassungen der Spezialberichte erscheinen als Sonderheft des Journal of European Tort Law. Weitere Informationen und Anmeldung unter www.ectil.org.

§  Vom 13.–16.4.2016 veranstaltet die Inter-Pacific Bar Association (IPBA) ihre nächste Jahreskonferenz in Kuala Lumpur, Malaysia. Sie trägt den Titel „Diverse Challenges, Global Solutions“. Die Jahreskonferenz wird im Schnitt von etwa 1.200 bis 1.400 Juristen besucht und setzt sich mit allen wichtigen Bereichen des Internationalen Wirtschaftsrechts auseinander; ein besonderer Fokus liegt u.a. auf der Schiedsgerichtsbarkeit. Weitere Informationen unter www.ipba2016.com.

§  Am 6.6.2016 lädt die Humboldt-Universität Berlin zur Yale-Humboldt Consumer Law Lecture (YHCLL) in ihren Senatssaal ein. Ziel der Veranstaltung ist es, den Austausch auf dem Gebiet des Verbraucherrechts zwischen amerikanischen und europäischen Juristinnen und Juristen zu fördern. Vortragende der Yale Law School sind die Professoren Richard Brooks, Henry Hansmann und Roberta Romano. Weitere Informationen unter augenhofer.rewi.hu-berlin.de/yhcll.

§  Vom 10.–13.7.2016 findet die zweite IAPL-MPI Summer School zu dem Thema „Approaches to Comparative Procedural Law: the Pluralism of Methods“ am Max-Planck-Institut für Verfahrensrecht in Luxemburg statt. Sie wird vom International Association of Procedural Law und dem Max-Planck-Institut Luxemburg mit dem Ziel organisiert, junge promovierte Wissenschaftler, vor allem auf dem Gebiet des europäischen und rechtsvergleichenden Zivilprozessrechts, zusammenzuführen. Einsendeschluss für Bewerbungen ist der 31.1.2016. Weitere Informationen unter www.mpi.lu/summer-school.

  • Eine Gruppe von Doktoranden und Habilitanden mit Interessen im Bereich des IPR plant für den 6. und 7.4.2017 an der Universität Bonn eine Tagung für alle deutschsprachigen Nachwuchswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen (insbesondere Doktoranden/Habilitanden) mit dem Generalthema: „Politik und Internationales Privatrecht (?)“. Den Eröffnungsvortrag wird Frau Professor Coester-Waltjen halten. Weitere Informationen finden sich auf der Seite des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Familienrecht der Universität Bonn (www.institut-familienrecht.de). Nähere Informationen bei Frau Dr. Susanne Gössl, LL.M. (Tulane), unter sgoessl@uni-bonn.de.