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Neueste Informationen Heft 3/2020

Prof. Dr. Jörg Pirrung (27.3.1940 – 24.10.2019)

Am 24.10.2019 verstarb Jörg Pirrung. Er gehörte dem IPRax-Beirat seit seiner Gründung an und hat die Entwicklung von IPRax sachkundig gefördert. Nach seiner Promotion in Marburg trat er 1972 in die Dienste des Bundesministeriums der Justiz. Viele Jahre begleitete er den Deutschen Rat für Internationales Privatrecht als zuständiger Beamter im Ministerium. Im Jahr 1997 wurde er zum Richter am Gericht der Europäischen Union berufen. Er war Honorarprofessor an der Universität Trier und gehörte ab 1997 dem Deutschen Rat für Internationales Privatrecht als reguläres Mitglied an. Bis zuletzt nahm er an den Beratungen des Rates intensiv teil. Seine Kommentierungen insbesondere des internationalen Kindschaftsrechts im Kommentar von Staudinger setzten Standards. Die IPRax-Herausgeber und der Verlag werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren. Unser Mitgefühl gilt seiner Frau und seinen Kindern.

Art. 17 EuGVVO bei Vertrags- und Deliktsansprüche bei Differenzgeschäften: Auch erfahrene Großanleger können Verbraucher sein

EuGH 2.4.2020 – Rs. C-500/18 – AU ./. Reliantco Investments

1. Art. 17 Abs. 1 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass eine natürliche Person, die gemäß einem Vertrag wie einem mit einer Finanzgesellschaft geschlossenen Vertrag über finanzielle Differenzgeschäfte über diese Gesellschaft Finanzgeschäfte vornimmt, als „Verbraucher“ im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden kann, wenn der Abschluss dieses Vertrags nicht der gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit dieser Person zugerechnet werden kann, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. Für diese Einstufung sind zum einen Faktoren wie die Vornahme von Transaktionen in großer Zahl durch diese Person innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums bzw. die Investition bedeutender Geldbeträge durch diese Person in diese Transaktionen als solche grundsätzlich unerheblich und ist zum anderen die Eigenschaft dieser Person als „Kleinanleger“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Nr. 12 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente […] grundsätzlich ohne Bedeutung.

2. Die EuGVVO ist dahin auszulegen, dass eine Klage eines Verbrauchers aus deliktischer zivilrechtlicher Haftung für die Zwecke der Bestimmung des zuständigen Gerichts unter Kapitel II Abschnitt 4 dieser Verordnung fällt, wenn sie untrennbar mit einem zwischen dem Verbraucher und dem Gewerbetreibenden tatsächlich geschlossenen Vertrag verbunden ist, was zu prüfen Sache des nationalen Gerichts ist.

Art. 5 Nr. 1, Art. 15 bis 17 EuGVVO 2001: Vertragsgerichtsstand ohne Vertrag bei Fluggastrechten

EuGH 26.3.2020 – Rs. C-215/18 – Libuše Králová ./. Primera Air Scandinavia A/S

1. Die Fluggastrechte-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004) ist dahin auszulegen, dass ein Fluggast eines um mindestens drei Stunden verspäteten Fluges gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen eine Klage auf Ausgleichszahlung nach den Art. 6 und 7 dieser Verordnung erheben kann, selbst wenn zwischen dem Fluggast und dem Luftfahrtunternehmen kein Vertrag geschlossen wurde und der fragliche Flug Bestandteil einer Pauschalreise im Sinne der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen ist.

2. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO 2001 ist dahin auszulegen, dass eine nach der Fluggastrechte-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004) von einem Fluggast gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen erhobene Klage auf Ausgleichsleistung unter den Begriff „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, selbst wenn zwischen diesen Parteien kein Vertrag geschlossen wurde und der vom Luftfahrtunternehmen durchgeführte Flug in einem mit einem Dritten geschlossenen Pauschalreisevertrag, der auch eine Unterbringung einschloss, vorgesehen war.

3. Die Art. 15 bis 17 EuGVVO 2001 sind dahin auszulegen, dass eine von einem Fluggast gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen, das in keiner Vertragsbeziehung mit dem Fluggast steht, erhobene Klage auf Ausgleichsleistung nicht in den Anwendungsbereich dieser Artikel fällt, die die besondere Zuständigkeit bei Verbrauchersachen betreffen.

Art. 15 Nr. 5, Art. 16 Nr. 5 EuGVVO: Keine Wirkung von Gerichtsstandsklauseln bei Versicherungsverträgen über Großrisiken gegenüber außenstehenden Versicherten

EuGH 27.2.2020 – Rs. C-803/18 – AAS „Balta“ ./. UAB „Grifs AG“

Art. 15 Nr. 5 und Art. 16 Nr. 5 EuGVVO sind dahin auszulegen, dass eine Gerichtsstandsklausel, die in einem durch den Versicherungsnehmer und den Versicherer geschlossenen Vertrag über die Versicherung von „Großrisiken“ im Sinne der letztgenannten Bestimmung vorgesehen ist, den Versicherten nicht entgegengehalten werden kann, wenn es sich dabei um nicht gewerblich im Versicherungssektor Tätige handelt, die der Klausel nicht zugestimmt haben und in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Versicherungsnehmers und des Versicherers ansässig sind.

Art. 7 Nr. 1 lit. b EuGVVO: Einheitlicher Erfüllungsort bei Beförderung durch mehrere Luftfahrtunternehmen

EuGH 13.2.2020 – Rs. C-606/19 – flightright GmbH ./. Iberia LAE SA Operadora Unipersonal

Art. 7 Nr. 1 lit. b zweiter Gedankenstrich EuGVVO ist dahin auszulegen, dass bei einem Flug, der durch eine bestätigte einheitliche Buchung für die gesamte Reise gekennzeichnet und in mehrere Teilflüge unterteilt ist, der „Erfüllungsort“ im Sinne dieser Vorschrift der Abflugort des ersten Teilflugs sein kann, wenn die Beförderung auf diesen Teilflügen von zwei verschiedenen Luftfahrtunternehmen durchgeführt wird und die auf der Grundlage der Fluggastrechte-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004) erhobene Klage auf Ausgleichszahlungen durch die Annullierung des letzten Teilflugs veranlasst wurde und sich gegen das mit dem letzten Teilflug beauftragte Luftfahrtunternehmen richtet.

Art. 1 Abs. 1 EuGVVO: Art des arrestgepfändeten Anspruchs entscheidet über Qualifikation als Zivil- und Handelssache

Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH Henrik Saugmandsgaard Øe 2.4.2020 – Rs. C-186/19

1. Art. 1 Abs. 1 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass die Frage, ob ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, das auf die Aufhebung einer Arrestpfändung bei einem Dritten gerichtet ist, unter die „Zivil- und Handelssachen“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, von der Art des Anspruchs, der durch diese Arrestpfändung gesichert werden sollte, sowie davon abhängt, ob – was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist – dieser Anspruch im Hinblick auf den in dieser Bestimmung vorgesehenen Ausschluss für „Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte“ seinen Ursprung in einer hoheitlichen Handlung oder in einer durch eine Wahrnehmung hoheitlicher Rechte geprägten Rechtsbeziehung hat.

2. Der Umstand, dass eine internationale Organisation eine ihr angeblich zustehende völkerrechtliche Immunität geltend macht, ist für diese Prüfung nicht ausschlaggebend und kann das nationale Gericht nicht daran hindern, sich gemäß der EuGVVO für international zuständig zu erklären.

Art. 7 Nr. 2 EuGVVO bei Produkthaftung

Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH Manuel Campos Sánchez-Bordona 2.4.2020 – Rs. C-343/19

1. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass bei einer in einem Mitgliedstaat begangenen unerlaubten Handlung in Form der heimlichen Manipulation eines Produkts, die erst sichtbar wird, nachdem das Produkt in einem anderen Mitgliedstaat zu einem Preis erworben wurde, der über seinem tatsächlichen Wert liegt,

– der Käufer dieses Produkts, zu dessen Vermögen es bei Bekanntwerden des Mangels gehört, unmittelbar geschädigt ist,

– der Ort des ursächlichen Geschehens der Ort ist, an dem das Ereignis, das zu dem Schaden an dem Produkt selbst geführt hat, stattgefunden hat, und

– sich der Schadenserfolg an dem in einem Mitgliedstaat gelegenen Ort verwirklicht, an dem der Geschädigte das Produkt von einem Dritten erworben hat, sofern die sonstigen Gegebenheiten die Zuständigkeit der Gerichte dieses Staates bestätigen. Hierzu müssen auf jeden Fall eine oder mehrere Gegebenheiten zählen, anhand deren der Beklagte vernünftigerweise vorhersehen konnte, dass die zukünftigen Käufer, die das Produkt an diesem Ort erwerben, eine zivilrechtliche Haftungsklage gegen ihn erheben könnten.

2. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass das Gericht des Ortes der Verwirklichung des Schadenserfolgs nicht befugt ist, anhand einer Abwägung der sonstigen Gegebenheiten des Falles zu ermitteln, ob dieses Gericht oder das Gericht des Ortes des ursächlichen Geschehens aufgrund seiner Nähe und Vorhersehbarkeit besser zur Entscheidung über den Rechtsstreit in der Lage ist, und auf dieser Grundlage seine Zuständigkeit festzustellen oder zu verneinen.

EuErbVO: Es gibt nur einen gewöhnlichen Aufenthalt / Nationales Nachlasszeugnis als öffentliche Urkunde

Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH Manuel Campos Sánchez-Bordona 26.3.2020 – Rs. C-80/19

1. Art. 4 EuErbVO sowie die übrigen Bestimmungen bezüglich des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers sind dahin auszulegen, dass es nur einen gewöhnlichen Aufenthalt geben kann.

2. Wenn sich der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers in einem Staat befindet und andere wesentliche Elemente des Nachlasses auf einen oder mehrere andere Staaten verweisen, hat die Erbsache grenzüberschreitenden Bezug und ist die EuErbVO folglich anwendbar.

3. Art. 3 Abs. 2 und Art. 4 EuErbVO sind dahin auszulegen, dass ein Notar, der nicht als „Gericht“ im Sinne der Vorschrift angesehen werden kann, nicht den Zuständigkeitsregeln der Verordnung unterliegt.

4. Art. 3 Abs. 1 lit. i EuErbVO ist dahin auszulegen, dass ein nationales Nachlasszeugnis wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende, das vom Notar auf Antrag auf einem Formblatt ausgestellt wird, nachdem er die Wahrhaftigkeit des Sachverhalts und der in ihm enthaltenen Erklärungen überprüft hat, eine „öffentliche Urkunde“ ist, der in anderen Mitgliedstaaten die entsprechende Beweiswirkung zukommt.

5. Art. 22 Abs. 2 EuErbVO ist dahin auszulegen, dass eine vom Erblasser getroffene Rechtswahl, die nicht ausdrücklich in einer Erklärung in Form einer Verfügung von Todes wegen erfolgt ist, sich nur aus den Bestimmungen einer solchen Verfügung ergeben kann.

6. Art. 83 Abs. 4 EuErbVO ist dahin auszulegen, dass, wenn in einer vor dem 17.8.2015 errichteten letztwilligen Verfügung keine Rechtswahl getroffen wurde bzw. sie sich nicht aus den Bestimmungen einer solchen Verfügung ergibt, das Recht der Staatsangehörigkeit des Erblassers, nach dem diese letztwillige Verfügung gültig ist, auf den Erbfall Anwendung findet, ohne dass geprüft werden muss, ob dieses Recht tatsächlich gewählt worden ist.

7. Die Art. 7 lit. c und Art. 9 Abs. 1 EuErbVO sind dahin auszulegen, dass eine Erklärung, die eine beteiligte Partei außerhalb des Verfahrens abgegeben hat und nach der sie die Zuständigkeit der Gerichte für ein von anderen Parteien anhängig gemachtes, bereits laufendes Verfahren akzeptiert, der ausdrücklichen Anerkennung der Zuständigkeit dieser Gerichte gleichkommt, wenn sie im Einklang mit den Formvorschriften und Fristen erfolgt, die in den am Gerichtsort geltenden Verfahrensvorschriften geregelt sind.

Art. 41 Abs. 1 EuUntVO und Vollstreckungsabwehrantrag

Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH Michal Bobek 27.2.2020 – Rs. C-41/19

Die EuUntVO, insbesondere Art. 41 Abs. 1 EuUntVO, ist dahin auszulegen, dass die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die Vollstreckung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Unterhaltsentscheidung beantragt wird, für die Entscheidung über einen Vollstreckungsabwehrantrag zuständig sind, soweit dieser in einem untrennbaren Zusammenhang mit dem Vollstreckungsverfahren steht, nicht auf die Änderung oder Überprüfung der Unterhaltsentscheidung gerichtet ist und auf Gründen beruht, die vor dem Gericht, das die Unterhaltsentscheidung erlassen hat, nicht hätten geltend gemacht werden können. Diese Bedingungen scheint der in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehende, auf die Begleichung der Forderung gestützte Vollstreckungsabwehrantrag zu erfüllen, was zu prüfen jedoch letztlich Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Zuständigkeitsfragen nach der EuGVVO bei unternehmerischer Schadensregulierung für Kfz-Haftpflichtversicherung

Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Rejonowy w Białymstoku (Polen) 31.1.2020 – Rs. C-913/19

1. Ist Art. 13 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 10 EuGVVO dahin auszulegen, dass für Klagen eines Unternehmers gegen ein Versicherungsunternehmen wegen eines vom Geschädigten erworbenen Haftpflichtschadenersatzanspruchs die Zuständigkeit des Gerichts nach Art. 7 Nr. 2 bzw. Art. 7 Nr. 5 der Verordnung nicht ausgeschlossen ist?

2. Ist – wenn die erste Vorlagefrage bejaht wird – Art. 7 Nr. 5 EuGVVO dahin auszulegen, dass eine in einem Mitgliedstaat tätige Gesellschaft des Handelsrechts, die Vermögensschäden aus der Kfz-Haftpflichtversicherung aufgrund eines mit einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Versicherungsunternehmen geschlossenen Vertrages reguliert, als eine Zweigniederlassung, eine Agentur oder eine sonstige Niederlassung dieses Versicherungsunternehmens anzusehen ist?

3. Ist – wenn die erste Vorlagefrage bejaht wird – Art. 7 Nr. 2 EuGVVO dahin auszulegen, dass er eine selbständige Zuständigkeitszuweisung an das Gericht in dem Mitgliedstaat, in dem das schadensbegründende Ereignis stattgefunden hat, enthält, bei dem ein Gläubiger, der einen Haftpflichtschadensersatzanspruch vom Geschädigten erworben hat, gegen ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiges Versicherungsunternehmen Klage erhebt?

Art. 13 EuInsVO 2002 und Art. 12 Abs. 1 lit. b Rom I-VO: Statut für Dritterfüllung

Vorabentscheidungsersuchen des BGH 23.1.2020 – IX ZR 94/19

Sind Art. 13 EuInsVO 2002 und Art. 12 Abs. 1 lit. b Rom I-VO dahin auszulegen, dass das nach der zuletzt genannten Verordnung auf einen Vertrag anzuwendende Recht auch für die Zahlung maßgebend ist, die ein Dritter zur Erfüllung der vertraglichen Zahlungsverpflichtung einer Vertragspartei leistet?

Art. 7 EuMahnVO: Klauselkontrolle im Mahnverfahren

Vorabentscheidungsersuchen des Juzgado de Primera Instancia e Instrucción nº 2 de Nules (Spanien) 11.10.2019 – Rs. C-524/19

Ist Art. 7 EuMahnVO dahin auszulegen, dass er es den Gerichten nicht verbietet, in den im Einklang mit der Verordnung durchgeführten Europäischen Mahnverfahren von Amts wegen die in Art. 7 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen vorgesehene Kontrolle etwaiger missbräuchlicher Vertragsklauseln durchzuführen, insbesondere wenn das nationale Gericht zur Vornahme dieser Kontrolle den Vertrag zuvor prüfen muss?

Art. 7 Nr. 2 EuGVVO und Art. 40 EGBGB: Persönlichkeitsverletzung bei juristischen Personen

BGH 14.1.2020 – VI ZR 495/18, VI ZR 496/18, VI ZR 497/18

1. „Unerlaubte Handlung” im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO umfasst Schadenshaftungen aus Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch Veröffentlichungen unabhängig davon, ob es sich um eine juristische oder natürliche Person handelt und ob der Schaden gegenwärtig vorliegt.

2. Eine juristische Person, deren Persönlichkeitsrechte durch eine Veröffentlichung im Internet verletzt worden sein sollen, kann vor den Gerichten des Mitgliedstaats klagen, in dem sich der Mittelpunkt ihrer Interessen befindet, bei einer wirtschaftlichen Tätigkeit der juristischen Person ist dies der Ort, an dem sie den wesentlichen Teil ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit ausübt.

3. Der Persönlichkeitsschutz und die sich daraus herleitenden Ansprüche unterfallen Art. 40 EGBGB unabhängig davon, ob es sich um eine juristische oder natürliche Person handelt.

4. § 3 Abs. 2 Satz 1 TMG ist keine Kollisionsnorm, sondern ein sachrechtliches Beschränkungsverbot.

(Leitsätze von Marcel Gernert, Köln)

Gebärende, rechtliche Mutter und Personenstandseintragung als „Mutter“

KG 17.3.2020 – 1 W 298/19, 1 W 300/19

Aus § 42 Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 PStV ist nicht zu schließen, dass die Frau, die das Kind geboren hat, auch dann in das Geburtenregister einzutragen ist, wenn sie im Zeitpunkt der Geburt nicht die rechtliche Mutter des Kindes ist.

(Eingesendet von RiKG Dr. Annette Rieger)

Art. 9 Rom I-VO und österreichisches Maklergesetz

OLG München 26.2.2020 – 15 U 4202/19

1. Zur internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach Art. 7 Nr. 1 EuGVVO für die Klage eines in Deutschland ansässigen Nachweismaklers auf Zahlung seiner Provision für den Kauf einer in Österreich gelegenen Gewerbeimmobilie.

2. Zum anwendbaren Recht auf den Maklervertrag.

3. Die Vorschriften der §§ 6, 7, 18 Österr. Maklergesetz sind keine Eingriffsnormen nach Art. 9 Rom I-VO.

(Eingesendet von RiOLG Dr. Gregor Vollkommer)

EGBGB und Drittwirkungen einer Abtretung

OLG Saarbrücken 20.2.2020 – 4 U 109/17

1. Ein Rechtsstreit zwischen Absonderungsberechtigten (Zessionaren) ohne jede Beteiligung des Insolvenzverwalters fällt nicht unter die Annexzuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2002.

2. Beurteilen sich die Drittwirkungen einer Abtretung nach deutschem Internationalen Privatrecht, ist auch nach Aufhebung des Art. 33 Abs. 2 EGBGB a.F. das Statut der abgetretenen Forderung (Forderungsstatut) maßgeblich.

Europäisches Nachlasszeugnis und Richtigkeitsvermutung

OLG München 10.2.2020 – 34 Wx 357/17

Der Miteigentumsanteil an in Deutschland gelegenem Grundbesitz eines deutschen Staatsangehörigen, der seinen gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich hatte und dort verstorbenen ist, wird, auch bei ausdrücklicher Zuweisung des Grundbesitzes im Europäischen Nachlasszeugnis an einen Miterben, nicht zu Alleineigentum erworben, da nach dem maßgeblichen österreichischen materiellen Erbrecht Universalsukzession eintritt, das österreichische Recht keine dingliche Teilungsanordnung kennt und daher die Richtigkeitsvermutung des Europäischen Nachlasszeugnisses keine Wirkung entfaltet.

Einheitliches Statut bei Ausgleich zwischen unterschiedlichen Versicherern

OLG Celle 5.2.2020 – 14 U 163/19

Für den Ausgleichsanspruch zwischen deutschen Versicherern von Zugmaschine und Anhänger bei einem Unfall im Ausland (hier: Schweiz) ist auf das Deliktstatut des Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO abzustellen bzw. der Art. 3 HStVÜ, weil es sachgerecht ist, für ein- und dasselbe Geschehen stets dasselbe Recht anzuwenden.

Eilverfahren bei Wettbewerbsverstoß und unklarem Inhalt ausländischen Rechts: Entscheidung allein nach Interessenabwägung

OLG Frankfurt a. M. 30.1.2020 – 6 W 9/20

1. Ist im Eilverfahren der Inhalt des anzuwendenden Rechts aufgrund der Eilbedürftigkeit nicht zuverlässig zu ermitteln, ist weder nach deutschem Recht zu entscheiden noch der Antrag unter Darlegungslastgesichtspunkten zurückzuweisen. Vielmehr ist nach einer lediglich summarischen Schlüssigkeitsprüfung im Rahmen einer Abwägung der Interessen der Parteien zu entscheiden.

2. Zur Frage des anwendbaren Rechts bei einem Wettbewerbsverstoß auf einer italienischen Homepage, wenn beide Parteien in Deutschland ansässig sind.

Keine internationale Zuständigkeit bei im Ausland gepflegten Internetseiten?

OLG Frankfurt a. M. 16.1.2020 – 16 U 208/18 (nicht rechtskräftig)

1. Im Fall von Buchungen über das Internet sind deutsche Gerichte international unzuständig, soweit die betreffenden Internetseiten technisch und inhaltlich vollständig vom Ausland aus erstellt und gepflegt werden.

2. Eine Zuständigkeit nach Art. 7 Nr. 5 EuGVVO kann nicht durch reine Rechtsscheingesichtspunkte begründet werden.

(Leitsätze von David Faust, Köln)

Eheform bei US-Ehe

OLG Jena 9.1.2020 – 1 UF 100/18

1. Die Wirksamkeit der Form der Eheschließung beurteilt sich mangels vorrangiger Staatsverträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika nach Art. 11 Abs. 1 EGBGB a.F., wonach (wie hier) die Formgültigkeit im Staat der Vornahme ausreicht.

2. Das Haager Apostille-Übereinkommen stellt nicht klar, wie die Apostille an der zugrundeliegenden Urkunde zu befestigen ist, sodass es der zuständigen Behörde obliegt, die Form des Anbringens auszuwählen. Eine feste Verbindung ist jedoch erforderlich.

(Leitsätze von David Faust, Köln)

Nachlasseinheit nicht Nachlassspaltung

OLG Köln 11.12.2019 – 2 Wx 342/19

1. Grundsätzlich findet das vom Erblasser in zulässiger Weise gewählte Erbrecht bzw. das Erbrecht des gewöhnlichen Aufenthaltsortes auf den gesamten Nachlass Anwendung. Eine Aufspaltung des anzuwendenden Erbrechts auf das jeweilige Recht des Staates der Belegenheit der Nachlassgegenstände ist nicht möglich.

2. Für die Erfüllung eines Vindikationslegats kann in Deutschland kein Nachlasspfleger gemäß § 1961 BGB bestellt werden.

Urteilsanerkennung und -vollstreckung im Verhältnis zur Republik Aserbaidschan

LG Bremen 3.4.2020 – 3 O 1581/18

1. Die Gegenseitigkeit der Urteilsanerkennung und -vollstreckung ist im Verhältnis zur Republik Aserbaidschan verbürgt.

2. Die indirekte Zuständigkeit nach § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO kann bei Gerichtsstandsvereinbarungen auch dann bejaht werden, wenn unter Anwendung des Spiegelbildprinzips die Voraussetzungen nach Art. 25 EuGVVO vorlägen, da deutsche Gerichte ihre Prorogation in internationalen Gerichtsstandsvereinbarungen unabhängig vom Wohnsitz der Parteien nach dieser Norm zu prüfen haben.

3. Bei der Vollstreckungsklage nach §§ 722, 723 ZPO ist eine negative Zwischenfeststellungswiderklage nach § 256 Abs. 2 ZPO, mit der die Feststellung der Nichtanerkennung der ausländischen Entscheidung im Inland begehrt wird, zulässig; eine solche erhöht aber den Streitwert nicht.

Ungarische Straßenmaut vor deutschem Gericht: Nachgebühr als Strafschadensersatz

AG München 3.4.2020 – 191 C 8294/19 (nicht rechtskräftig)

1. Die ungarische Maut für die Straßennutzung wird auf zivilrechtlicher Grundlage erhoben, sodass der daraus sich ergebende Zahlungsanspruch vor einem deutschen Zivilgericht eingeklagt werden kann. Dabei handelt es sich um ein gesetzliches, nicht um ein vertragliches Schuldverhältnis, auf das die Rom II-VO anzuwenden ist.

2. Die sich aus dem ungarischen Recht ergebende erhöhte Nachgebühr, die erhoben wird, wenn die einfache „Nachgebühr“ nicht innerhalb von 30 Tagen bezahlt wird, stellt einen Strafschadensersatzanspruch dar, der mit dem deutschen ordre public nicht vereinbar ist (Art. 26 Rom II-VO).

3. Der Zinsanspruch gem. § 291 BGB ist ein materiell-rechtlicher Anspruch, der lediglich durch die Rechtshängigkeit ausgelöst wird. § 291 BGB ist nur anwendbar, wenn das deutsche Recht als (Forderungs-)Statut für die Forderung berufen ist (im Anschluss an OLG München, Urteil v. 25.3.2015 – 15 U 458/14 mit zust. Anm. Mankowski EWiR 2015, 703).

(Eingesendet und Leitsätze von RiOLG Dr. Gregor Vollkommer)