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Neueste Informationen Heft 5/2024

Peter Winkler von Mohrenfels (1943-2024)

Am 27.6.2024 ist Prof. Dr. Peter Winkler von Mohrenfels in Hamburg verstorben. Er wurde an der Universität Hamburg promoviert und habilitierte sich dort mit einer von Albrecht Zeuner und Herbert Bernstein betreuten Arbeit zu abgeleiteten Informationspflichten. Nach Lehrstuhlvertretungen hatte Peter Winkler von Mohrenfels zunächst eine Professur in Hamburg inne, ab 1986 dann in München. 1993 wechselt er an die kurz zuvor wiedereröffnete Juristische Fakultät in Rostock. Auf dem Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht, IPR und Rechtsvergleichung konnte er seinen beiden Leidenschaften, dem Internationalen Privatrecht und dem Familienrecht nachgehen. Prägend waren Kommentierungen zum Internationalen Scheidungsrecht im Münchner Kommentar und zum Formstatut im Staudinger. Sein Interesse für das Arbeitsrecht konnte er mit dem Kollisionsrecht in einem umfangreichen Beitrag zum Arbeitsvertragsstatut in der Sammlung EAS verbinden. Kennzeichnend war sein persönlich besonders liebenswürdiger Umgang, verbunden mit Unbestechlichkeit in der Sache, was besonders im unbeirrten Kampf für seine Rostocker Fakultät gegen Schließungspläne des Landes sichtbar wurde. (Olaf Deinert)

 

EU-Kommission rügt Richterbesoldung in Deutschland

Im Justizbarometer zur Rechtsstaatlichkeit der Europäischen Union (Com 2023 309), in welchem die EU-Kommission einen jährlichen Überblick über die Leistungsfähigkeit der nationalen Justizsysteme innerhalb der EU – insbesondere im Hinblick auf Effizienz, Qualität und Unabhängigkeit – bereitstellt, ist Deutschland unter dem Gesichtspunkt der Höhe der Richterbesoldung auf dem letzten Platz. Die zu geringe Bezahlung der Richter in Deutschland wird von der EU-Kommission noch immer gerügt. Sie erhalten z.B. deutlich weniger als die Hälfte des Richtergehalts in Italien, wo die höchsten Richtergehälter gezahlt werden.

 

Art. 18 EuGVVO: Reiseziel im Ausland schafft Auslandsfall

EuGH 29.7. 2024 – C-774/22 – JX ./. FTI Touristik

Art. 18 EuGVVO ist wie folgt auszulegen: Nach ihm ist in Fällen, in denen ein Verbraucher einen Reiseveranstalter nach Abschluss eines Pauschalreisevertrags vor dem Gericht des Mitgliedstaats verklagt, in dessen Bezirk er seinen Wohnsitz hat, und die Vertragspartner beide in dem betreffenden Mitgliedstaat ansässig sind, das Reiseziel aber im Ausland liegt, dieses Gericht sowohl international als auch örtlich zuständig.

 

Art. 7 Nr. 2 EuGVVO: Kein Erfolgsort bei Konzernobergesellschaft für Schäden der Untergesellschaften

EuGH 4.7.2024 – C-425/22 – MOL

Art. 7 Nr. 2 EuGVVO ist dahin auszulegen, dass die Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ nicht den Sitz der Muttergesellschaft umfasst, wenn diese eine Klage auf Ersatz von Schäden erhebt, die ausschließlich ihren Tochtergesellschaften durch das wettbewerbswidrige Verhalten eines Dritten, das eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV darstellt, entstanden sind; dies gilt auch dann, wenn geltend gemacht wird, dass die Muttergesellschaft und ihre Tochtergesellschaften derselben wirtschaftlichen Einheit angehörten.

 

Art. 10 lit. b Ziff. i, Art. 11 EuEheVO 2003: Kindesrückgabe und Drittstaat

EuGH 20.6.2024 – C-35/23 – Greizlzel

1. Art. 10 lit. b Ziff. i EuEheVO 2003 ist dahin auszulegen, dass diese Bestimmung nicht allein deshalb ihre Anwendbarkeit verliert, weil die Zentrale Behörde eines Drittstaats eingeschaltet wurde, um ein Verfahren zur Rückgabe eines Kindes nach dem HKÜ durchzuführen, und dieses Verfahren gescheitert ist.

2. Art. 10 lit. b Ziff. i EuEheVO 2003 ist dahin auszulegen, dass weder ein auf Rückgabe des Kindes in einen anderen Staat als den Mitgliedstaat, in dem das Kind unmittelbar vor seinem widerrechtlichen Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, gerichteter Antrag noch ein vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats gestellter Antrag auf das Sorgerecht für das Kind unter den Begriff „Antrag auf Rückgabe“ im Sinne dieser Bestimmung fällt.

3. Art. 11 Abs. 6 bis 8 EuEheVO 2003 ist dahin auszulegen, dass er bei der Durchführung eines Verfahrens zur Rückgabe eines Kindes nach HKÜ zwischen einem Drittstaat und einem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich das Kind nach einem widerrechtlichen Verbringen oder Zurückhalten befindet, keine Anwendung findet.

 

Art. 7 Nr. 1 lit. a, Nr. 5, Art. 5 Abs. 1, Art. 28 EuGVVO: Verordnungsautonome Auslegung des Niederlassungsbegriffs und entgegenstehende nationale lex fori

Vorabentscheidungsersuchen des Sofiyski rayonen sad (Bulgarien) 19.6.2024 – C-430/24

1. Ist Art. 7 Nr. 1 lit. a und Nr. 5 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 EuGVVO dahin auszulegen, dass er zwingende Vorschriften über die Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten innerhalb der Union vorsieht, die nicht durch nationale Rechtsvorschriften für spezifische Arten vereinfachter Verfahren, für die auch besondere Voraussetzungen für die Zuständigkeit der nationalen Gerichte vorgesehen sind, ausgeschlossen werden können?

2. Ist unabhängig von der Antwort auf die erste Frage Art. 7 Nr. 5 EuGVVO in Übereinstimmung mit dem Urteil vom 11.4.2019, Ryanair DAC, C-464/18, dahin auszulegen, dass der Begriff „Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung“ ein eigenständiger Begriff des Unionsrechts ist, und wenn ja, welche Bedeutung hat er in Bezug auf das Erfordernis, einen Vertrag im Rahmen der Tätigkeit der Niederlassung abzuschließen?

3. Falls die erste Frage zu verneinen ist –die genannten Vorschriften also nicht zwingend sind – und der erste Teil der zweiten Frage zu bejahen ist, ist Art. 7 Nr. 5 EuGVVO in Übereinstimmung mit dem Urteil vom 13.11.1990, Marleasing, C-106/89, dahin auszulegen, dass nationale Rechtsvorschriften, die eine gerichtliche Zuständigkeit aufgrund des Vorhandenseins einer „Betriebsstätte“ in einem bestimmten Mitgliedstaat vorsehen, in Bezug auf diesen Begriff in Übereinstimmung mit der Auslegung des Begriffs „Zweigniederlassung, Agentur oder Niederlassung“ durch den Gerichtshof der Europäischen Union auszulegen sind?

4. Ist Art. 7 Nr. 5 EuGVVO dahin auszulegen, dass er zur Bestimmung der Zuständigkeit für Klagen gegen eine Zweigniederlassung, Agentur oder Niederlassung nicht nur die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sondern auch die Aufteilung der örtlichen Zuständigkeiten zwischen den Gerichten jedes einzelnen Staates regelt?

5. Ist Art. 28 Abs. 1 EuGVVO im Einklang mit den Hinweisen im Urteil vom 9.9.2021, Toplofikatsia Sofia, C-208/20 und C-256/20, dahin auszulegen, dass er es dem Gericht in einseitigen nationalen Verfahren wie denen auf Erlass eines Mahnbescheids, in denen der Antragsgegner erst nach Erlass der Gerichtsentscheidung am Verfahren beteiligt wird, nicht gestattet, über seine Zuständigkeit erst nach einem Versuch der Zustellung der Gerichtsentscheidung an den Antragsgegner zu entscheiden?

 

Art. 25 Abs. 1 S. 1 aE EuGVVO: Autonome Auslegung des Begriffs der materiellen Wirksamkeit

Vorabentscheidungsersuchen des Riigikohus (Estland) 6.6.2024 – C-398/24

Ist der Umstand, dass die Gültigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung daran geknüpft ist, dass die natürlichen Personen, die sie getroffen haben, im Rahmen einer wirtschaftlichen und beruflichen Tätigkeit handeln, wie in § 106 Abs. 1 Nr. 1 der estnischen Zivilprozessordnung, der vorsieht, dass eine zwischen natürlichen Personen geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung ungültig ist, wenn sie gegen die Bestimmung in § 104 Abs. 1 der Zivilprozessordnung verstößt, wonach ein Rechtsstreit zwischen natürlichen Personen, den ein Gericht aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung verhandelt, mit der wirtschaftlichen oder beruflichen Tätigkeit beider Parteien im Zusammenhang stehen muss, eine Frage der materiellen Gültigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne von Art. 25 Abs. 1 S. 1 aE EuGVVO („es sei denn, die Vereinbarung ist nach dem Recht dieses Mitgliedstaats materiell ungültig“)?

 

Vorfragen der gesetzlichen Prozessstandschaft und lex causae Qualifikation

BGH 8.3.2024 – V ZR 176/22

Materiell-rechtliche Vorfragen einer gesetzlichen Prozessstandschaft sind in Fällen mit Auslandsberührung nach dem Sachrecht (lex causae) zu beurteilen, das nach dem deutschen Internationalen Privatrecht anzuwenden ist.

 

Art. V Abs. 1 UNÜ: Keine Nachprüfung der schiedsgerichtlichen Beweiswürdigung und kein Anerkennungshindernis im Anerkennungsstaat bei unterlassenem Rechtsmittel im Erlassstaat

BGH 21.12.2023 – I ZB 37/23

1. Dem im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs erhobenen Einwand eines Anerkennungsversagungsgrunds im Sinne des Art. V Abs. 1 UNÜ steht nicht entgegen, dass im Erlassstaat gegen den Schiedsspruch kein befristetes Rechtsmittel eingelegt wurde (Weiterführung von BGH, Beschluss vom 16.12.2010 - III ZB 100/09, BGHZ 188, 1).

2. Der Überprüfung des Schiedsspruchs auf seine materielle Richtigkeit durch das staatliche Gericht steht das grundsätzliche Verbot der révision au fond entgegen. Eine unrichtige Rechtsanwendung ist für sich allein kein Grund, die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs zu verweigern. Dem staatlichen Gericht ist regelmäßig auch die Nachprüfung der vom Schiedsgericht vorgenommenen Beweiswürdigung untersagt.

 

Brexit: Intertemporale Regelung der Prozesssicherheit

BGH 12.12.2023 – IX ZR 143/22

Ein Kläger mit gewöhnlichem Aufenthalt im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland hat auf Verlangen des Beklagten keine Prozesskostensicherheit zu leisten, wenn das gerichtliche Verfahren vor dem Ablauf der Übergangsfrist des Brexit-Abkommens eingeleitet worden ist.

 

Achmea-Rechtsprechung erfasst nicht Extra-EU-BIT

BGH 12.10.2023 – I ZB 12/23

Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache "Achmea" (EuGH, Urteil vom 6.3.2018 - C-284/16) ist nicht auf bilaterale Investitionsschutzabkommen von Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit Drittstaaten (sogenannte Extra-EU-BITs) übertragbar. Schiedsklauseln in Extra-EU-BITs widersprechen nicht dem Unionsrecht (Anschluss an EuGH, Urteil vom 2.9. 2021 - C-741/19 - Komstroy).

 

Vollstreckungsversagung nach Art. 34 Nr. 2, Art. 45 EuGVVO 2001 hindert nicht Vollstreckung nach EuVTVO

BGH 30.8.2023 – VII ZB 45/21

Wird die Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung wegen eines Anerkennungshindernisses nach Art. 34 Nr. 2, Art. 45 EuGVVO 2001 im Vollstreckungsstaat versagt, steht dies einer anschließenden Vollstreckung aus der als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigten Entscheidung im selben Vollstreckungsstaat nicht entgegen.

 

Schiedsspruchanerkennung und internationaler ordre public: Säumnis, Vertragsstrafe und Willkürgrenze bis 40%

BayObLG 26.6.2024 – 101 Sch 116/23 e

1. Einem Schiedsspruch ist nicht wegen eines Verstoßes gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör oder gegen den Grundsatz prozessualer Waffengleichheit und damit Verstoß gegen den ordre public die Anerkennung zu versagen, wenn eine mündliche Verhandlung in Abwesenheit einer Partei stattfindet, weil deren Terminverlegungsantrag wegen nicht triftiger Begründung der Verweigerung zur Teilnahme an der Verhandlung abgelehnt wird. 

3. Ein Verstoß gegen den internationalen ordre public liegt nicht bereits darin, dass ein Schiedsgericht eine überhöhte Vertragsstrafe oder einen überhöhten, pauschalierten Schadensersatz zugesprochen hat. Insoweit sind die Besonderheiten des fremden Rechts einzubeziehen. Etwas anderes kann aber dann gelten, wenn die Überschreitung der Grenzen des Schadensersatzes so gravierend sind, dass die Entscheidung als willkürlich erscheint. Eine Vertragsstrafe in Höhe von 10% wegen Verzugs verstößt nicht gegen den ordre public. Ohne das Hinzutreten weiterer Umstände verstößt selbst eine Vertragsstrafe, die 40% der Hauptleistung erreicht, allein wegen ihrer Höhe nicht gegen den ordre public.

(Leitsätze v. Anna Bobzin, Köln)

 

§ 110 ZPO: HGÜ befreit nicht von Prozesskostensicherheit

OLG Köln 6.6.2024 – 8 U 13/23

1. Einem Kläger aus Singapur ist gem. § 110 Abs. 1 ZPO eine Prozesskostensicherheit aufzugeben, denn das HGÜ erfüllt die Anforderungen des Ausnahmetatbestands des § 110 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht.

2. Das HGÜ bietet keine hinreichende Gewähr für eine gesicherte Vollstreckung sämtlicher möglicher Entscheidungen, denn die in Art. 4 Abs. 1 HGÜ vorgenommene Definition des Begriffs der „Entscheidung“ erfasst nicht alle Konstellationen von Kostenentscheidungen. Sie bezieht sich ausdrücklich nur auf solche Kostenentscheidungen, die in Beziehung zu einer Entscheidung in der Sache stehen. Eine Entscheidung in der Sache liegt aber bei einer Klage- oder Berufungsrücknahme nicht vor.

(Leitsätze v. Anna Bobzin, Köln)

 

§ 114 ZPO: Berufung auf ausländisches Recht ist nicht mutwillig

OLG Celle 20.2.2024 – 12 WF 15/24

Es ist nicht mutwillig i. S. v. § 114 ZPO, wenn ein Ausländer vor einem nach Art. 3 EuEheVO zuständigen Gericht ein Scheidungsverfahren betreibt, bei dem das Gericht aufwändig ausländisches Recht ermitteln muss.

 

Keine internationale Zuständigkeit bei Ehrverletzungsklage schweizerischer AG gegen schweizerische Fernsehanstalt

OLG Saarbrücken 27.9.2023 – 5 U 13/23

Zur - hier verneinten - Frage der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte für den Antrag einer in der Schweiz ansässigen Aktiengesellschaft auf Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung gegen die dortige Fernsehanstalt und deren „Redaktor“ wegen vermeintlich ehrverletzender Äußerungen in einem über das Internet verbreiteten Fernsehbeitrag.

 

Vorwirkungen des § 4 Abs. 1 S. 2 AdwirkG 2021 bei Auslandsadoption 2019

OLG Nürnberg 25.9.2023 – 9 UF 569/23

War bei einer 2019 ausgesprochenen Auslandsadoption dem Gericht nicht bekannt, dass die Adoptiveltern das Kind alsbald nach Deutschland bringen werden, kann im Anerkennungsverfahren die Intention des seit 1.4.2021 geltenden § 4 Abs. 1 S. 2 AdwirkG, nämlich die aktuelle Eltern-Kind-Bindung, berücksichtigt werden.

 

Sofortiger Aufenthaltswechsel bei legalem Kindesverzug

KG 1.8.2023 – 16 UF 49/23

Zieht der hauptsächlich betreuende Elternteil mit dem Kind vom Inland in einen Nicht-EU-Staat, ohne dass ein widerrechtliches Verbringen des Kindes in das Ausland vorliegt, ist von einem sofortigen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes auszugehen, der im laufenden Verfahren die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte entfallen lässt.

 

Güterrecht und Qualifikation von Verfügungsbeschränkungen (§ 1368 BGB, Art. 194 Abs. 1, 223 Abs. 2 türk. ZGB)t

KG 28.7.2023 – 3 WF 61/22

1. Im Verfahren über Verfahrenskostenhilfe muss das Gericht bei Anwendbarkeit ausländischen Sachrechts im Rahmen seiner Ermittlungspflicht dann, wenn es von der Einholung eines Rechtsgutachtens absehen und Verfahrenskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung verweigern will, nachvollziehbar und belastbar darlegen, dass es die entscheidungserheblichen Normen des fremden Rechts aufgrund eigener Sachkunde zuverlässig ermitteln konnte (Anschluss OLG Saarbrücken, Beschluss vom 14.2.2020 - 6 WF 22/20).

2. § 1368 BGB ist für Zwecke des bisherigen Kollisionsrechts (vor dem Anwendungsbeginn der EuGüVO) güterrechtlich zu qualifizieren. Bei einem Gesamtverweis auf türkisches Recht verweist türkisches Ehegüterkollisionsrecht nicht für unbewegliches Vermögen auf das Recht des Belegenheitsorts zurück oder weiter.

3. Güterstandsunabhängig geltende Verfügungsbeschränkungen für Ehegatten nach ausländischem Recht (Art. 194 Abs. 1 türk. ZGB) sind als allgemeine Ehewirkungen zu qualifizieren, anders als güterstandsunabhängige Beschränkungen (Art. 223 Abs. 2 türk. ZGB), die dem anwendbaren Güterrecht unterliegen.

 

Nachweis der Erbfolge gegenüber Grundbuchamt mittels Europäischen Nachlasszeugniseses

KG 27.6.2023 – 1 W 2/23

Der Nachweis der Erbfolge kann gegenüber dem Grundbuchamt mit der beglaubigten Abschrift eines Europäischen Nachlasszeugnisses geführt werden. Die formellen Voraussetzungen an eine solche beglaubigte Abschrift folgen aus dem Unionsrecht. Das nationale (Grundbuch-) Recht gebietet keine strengeren Anforderungen.

 

Gerichtsstandsvereinbarung in einem Vertrag zu Gunsten Dritter

BayObLG 7.6.2023 – 101 AR 126/23 e

1. Eine Gerichtsstandsvereinbarung in einem Vertrag zu Gunsten Dritter ist bei der gerichtlichen Verfolgung von Ansprüchen durch den aus dem Vertrag berechtigten Dritten zu beachten, auch wenn dieser selbst nicht pro- und derogationsbefugt ist.

2. Zur Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung für alle Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit dem Vertrag, in den sie integriert ist, als Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands.

3. Ein fehlerhaft begründeter, jedoch der Rechtslage im Ergebnis entsprechender Verweisungsbeschluss ist nicht willkürlich.

 

Art. 19 Abs. 2 EuEheVO 2003: Umgangsverfahren ist nicht Sorgeverfahren

OLG Karlsruhe 24.4.2023 – 5 UF 174/22

Derselbe Anspruch im Sinne des Art. 19 Abs. 2 EuEheVO 2003 liegt nicht vor, wenn das Verfahren in dem einen Staat die elterliche Sorge und das Verfahren in dem anderen Staat den Umgang betrifft.

 

Art. 1 Abs. 2 lit. h, Art. 39 EuErbVO: Gesellschaftsrechtliche beschränkte Anteilsübertragung unterliegt nicht der EuErbVO/ Rechtsnachfolge in KG-Anteile und österreichisches Erbrecht

OLG Hamm 15.2.2023 – 8 U 41/22

1. Ein Streit über die gesellschaftsrechtlich beschränkte Übertragbarkeit und Vererblichkeit von Gesellschaftsanteilen an einer Personengesellschaft unterfällt der Bereichsausnahme in Art. 1 Abs. 2 lit. h EuErbVO, so dass der Anwendungsbereich dieser Verordnung nicht eröffnet ist. Die internationale Zuständigkeit für derartige Rechtsstreite ergibt sich dann nicht aus Art. 4 EuErbVO.

2. Enthält ein Einantwortungsbeschluss nach österreichischem Erbrecht Aussagen über die Rechtsnachfolge in einen Kommanditanteil an einer deutschen Kommanditgesellschaft, ist dies für die Kommanditgesellschaft und ihre Gesellschafter nicht nach Art. 39 EuErbVO verbindlich, jedenfalls wenn der Anwendungsbereich der VO nicht eröffnet ist. In dem Fall kann die Anerkennung auch nicht auf Art. 1 Abs. 1 S. 1, 4, 7 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen vom 6.6.1959 gestützt werden.

3. Zur Auslegung einer gesellschaftsvertraglichen Regelung über die Übertragbarkeit von Kommanditanteilen unter Lebenden und von Todes wegen.

 

Deutsch-thailändische Ehe und § 1371 BGB

OLG Naumburg 13.1.2023 – 2 Wx 43/21

Zur Anwendbarkeit des deutschen Ehegüterstatuts, insbesondere des § 1371 Abs. 1 BGB, auf eine im Königreich Thailand geschlossene Ehe zwischen einem deutschen Staatsangehörigen und einer thailändischen Staatsangehörigen.

 

Kein deutsches gerichtliches Anerkennungs- und Vollstreckungsverbot betreffend Drittstaaten-Vollstreckung eines unionsrechtswidrigen ICSID-Schiedsspruchs

LG Essen 12.4.2024 – 2 O 447/22

1. Das Rechtsschutzziel eines Klägers, eine Beklagte zu verurteilen, es außerhalb der Europäischen Union zu unterlassen, die Anerkennung oder Vollstreckbarerklärung oder gleichwertige Maßnahmen in Bezug auf einen ICSID-Schiedsspruch zu betreiben, verfolgt, erweist sich als unzulässiges Prozessführungsverbot, als eine sog. Anti-Suit-Injunction.

2. Zwar sind ICSID-Schiedssprüche nach der Rechtsprechung des EuGH nicht mit dem Unionsrecht vereinbar, wenn die dem Schiedsverfahren zugrundeliegende Schiedsklausel die durch das Vorabentscheidungsersuchen gewährleistete Wahrung der Eigenarten des Unionsrechts unter Verstoß gegen die Grundsätze der loyalen Zusammenarbeit und der Autonomie des Unionsrechts in Frage stellt (EuGH, Urt. v. 6.3.2018, Rs. C-284/16) und können demgemäß in der Europäischen Union keine Durchsetzung finden.

3. Eine daraus resultierende Rechtsfolge, dass (deutsche) Gerichte auch mit außereuropäischer Wirkung dafür Sorge zu tragen haben, die Vollstreckung aus einem solchen Schiedsspruch zu verhindern, besteht indes nicht.

(Leitsätze v. Anna Bobzin, Köln)

 

Personalstatut eines Flüchtlings

AG Gemünden a. Main 13.3.2024 – 002 F 334/23

Das Personalstatut eines Flüchtlings im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) richtet sich wegen der Sonderanknüpfung gem. Art. 12 Abs. 1 GFK nach dem Recht des Aufenthaltsstaates. Der einem Geflüchteten vom BAMF zuerkannte Flüchtlingsstatuts ist nach § 6 S. 1 AsylG für das Abstammungsverfahren verbindlich.

(Leitsatz v. Anna Bobzin, Köln)

 

Fluggastrechte und Ryanair: Rom I-VO, Klausel-Richtlinie und Rechtswahlkontrolle

AG Memmingen 22.12.2022 – 21 C 1236/18

1. Zum Kontrollmaßstab einer Rechtswahlabrede zählen auch die der Umsetzung der Klausel-Richtlinie (Richtlinie 93/13 des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen) dienenden Vorschriften, die ihrerseits richtlinienkonform auszulegen sind.

2. Gemäß Art. 3 Richtlinie 93/13 ist eine Vertragsklausel als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten des Vertragspartners verursacht. Hieraus folgert der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 28.7.2016 (C 191/15), dass eine Klausel in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls den Anforderungen von Treu und Glauben, der Ausgewogenheit und der Transparenz genügen muss und diese Beurteilung dem nationalen Gericht obliegt, auch wenn sich die Rechtswirksamkeit der Rechtwahlabrede (gemäß Art. 3 Abs. 5 in Verbindung mit Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO) nach dem Recht eines anderen Staates (hier: irischem Recht) beurteilt.

3. Nach diesen Kriterien ist eine Rechtswahlklausel in AGB, die zum Ausdruck bringt, dass nur Übereinkommen und einschlägige Gesetze der Geltung irischen Rechts entgegenstehen könnten, irreführend und vor allem intransparent. Denn diese Einschränkung des geltenden irischen Rechts ist insofern unvollständig, als dass auf europäischer Rechtsebene, auch europäische Verordnungen dem nationalen Recht vorgehen. Indem die Rechtswahlklausel nicht ansatzweise exakt bestimmt, welche übernationalen Regelungen der Anwendung irischen Recht vorgehen, wird die Klausel intransparent, weil der Anwendungsbereich des irischen Rechts nicht mehr in transparenter Weise festgelegt ist.

(Leitsätze v. Anna Bobzin, Köln)

 

Ausrichten auf Verbraucher in UK: Multifaktorielle Beurteilung aller relevanten Umstände ohne zwingende subjektive Ausrichtungsabsicht

Supreme Court oft he United Kingdom 6.3.2024 – Lifestyle Equities CV v Amazon UK Services Ltd [2024] UKSC 8

1. Die Frage, ob eine Werbung oder ein Verkaufsangebot auf Verbraucher im Vereinigten Königreich ausgerichtet ist, ist aus der Perspektive eines Durchschnittsverbrauchers zu beurteilen. Ein Durchschnittsverbraucher in diesem Sinne ist ein angemessen informierter und angemessen aufmerksamer Verbraucher. Er muss keinen statistischen Durchschnitt darstellen.

2. Bei der Beurteilung der Frage, ob der Durchschnittsverbraucher eine Werbung oder ein Verkaufsangebot als auf ihn ausgerichtet ansehen darf, muss das Gericht eine multifaktorielle Beurteilung aller relevanten Umstände vornehmen. Zu diesen Umständen gehört etwa das Erscheinungsbild der Website, die Art und Weise, wie sie auf den Verbraucher reagiert, die Möglichkeit, Waren zu kaufen und liefern zu lassen sowie die Art und Weise, wie dies geschieht.

3. Die Feststellung einer subjektiven Absicht des Unternehmers, seine Tätigkeit auf das Vereinigte Königreich auszurichten, ist nicht erforderlich. Das Vorliegen einer subjektiven Absicht kann lediglich die Annahme, dass die Tätigkeit des Unternehmers auf Verbraucher des Vereinigten Königreichs ausgerichtet ist, fördern. Entscheidend bleibt damit ausschließlich die Perspektive eines Durchschnittsverbrauchers.

(Leitsätze v. Anna Bobzin, Köln)

 

Postmortale Vaterschaftsstellung und ordre public

Corte Suprema di Cassazione 23.1.2024 – n. 12388/2023

Ein deutsches Urteil über die postmortale Feststellung einer Vaterschaft verstößt nicht gegen den italienischen ordre public, wenn der Bruder des Verstorbenen, die Frau des Bruders sowie deren Sohn im deutschen Verfahren nicht beteiligt waren.

(Leitsatz v. Anna Bobzin, Köln)

 

Schiedsklausel im Falle der Staatensukzession (Sudan)

Schweizerisches Bundesgericht 7.8.2023 – 4A_575/2022

1. Unterwirft sich ein Staat in einem Vertrag mit einem Investor einer Schiedsklausel, kann er sich im Schiedsverfahren nicht darauf berufen, hierzu nach innerstaatlichem Recht nicht befugt gewesen zu sein, zumindest, wenn das für den Investor bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht erkennbar war.

2. Eine Schiedsklausel geht im Falle der Staatensukzession nach den allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen auf den Rechtsnachfolger über.

3. Nach dem Economic Agreement zwischen der Republik Sudan und der Republik Südsudan gehen Verbindlichkeiten aus Verträgen zwischen einem Investor und der Republik Sudan im Wege der Staatensukzession auf die Republik Südsudan über, wenn sich der Vertrag auf das Gebiet des heutigen Südsudan bezieht.

 

Keine „Anerkennung“ eines deutschen Geschlechtseintrags in der Schweiz

Schweizerisches Bundesgericht 8.6.2023 – 5A_391/2021

Eine nach deutschem Recht vorgenommene Streichung des Geschlechteintrages im Personenstandsregister für eine Person mit schweizerischer Staatsangehörigkeit wird vom schweizerischen Recht nicht anerkannt und kann nicht im schweizerischen Personenstands- sowie Geburtenregister übernommen werden.

 

Österreichischer ordre public

OGH 15.3.2023 – 3 Ob 7/23k

Luxusgrenze ist nicht Teil der Grundwertungen des österreichischen Rechts.

 

Deutscher Erbschein und Europäisches Nachlasszeugnis bilden keine ausreichende Grundlage für eine Eintragung im österreichischen Grundbuch

OGH 14.3.2023 – 5 Ob 209/22d

1. Für den erbrechtlichen Erwerb an einer österreichischen Liegenschaft ist nach Art. 30 EuErbVO nicht die EuErbVO, sondern nationales (österreichisches) Recht anwendbar.

2. Danach ist der Erwerb dem österreichischen Grundbuchgericht durch eine Amtsbescheinigung nach § 14 I Nr. 5 österr. WEG in Verbindung mit § 182 Abs. 3 AußStrG nachzuweisen; ein deutscher Erbschein und ein Europäisches Nachlasszeugnis bilden keine ausreichende Grundlage für eine Eintragung im österreichischen Grundbuch.

 

Veranstaltungshinweise

  • Am 4. September 2024 findet an der Universität Bonn die Abschlussveranstaltung zum Forschungsprojekt „Restatement of Restitution Rules for Nazi-Confiscated Art“ statt. Den Vortrag zum Thema „Was ist und was kann das „Restatement of Restitution Rules for Nazi-Confiscated Art“?“ wird Prof. Dr. Matthias Weller halten. Eine Anmeldung ist durch Email an sekreteriat.weller@jura.uni-bonn.de möglich. Weitere Informationen unter https://www.jura.uni-bonn.de/professur-prof-dr-weller
  • Am 6. September 2024 veranstaltet die Sheffield Law School ein Symposium, um das wissenschaftliche Werk des emeritierten Professors David McClean CBE KC (Hon) zu würdigen. Weitere Informationen und Anmeldung unter https://www.tickettailor.com/events/schooloflawuos/1337648
  • Vom 12. bis 14. September 2024 veranstaltet die Gesellschaft für Rechtsvergleichung unter dem Generalthema „Globaler Süden – globaler Norden“ die 39. Tagung für Rechtsvergleichung in der Humboldt Universität zu Berlin. Weitergehende Informationen und Anmeldung unter https://www.gfr.jura.uni-bayreuth.de/de/veranstaltungen/index.html
  • Am 26. und 27. September 2024 findet an der Universität Paris 1 Panthéon-Sorbonne organisiert von dem Institut de recherche juridique de la Sorbonne (IRJS, Universität Paris 1) und dem Laboratoire de droit des affaires et nouvelles technologies (DANTE, Universität Paris Saclay) eine internationale Konferenz zu Ehren von Professor Paul Lagarde, anlässlich seines 90. Geburtstages statt. Die Konferenz wird sich mit den internationalen Quellen des internationalen Privatrechts befassen und dabei auf die wichtige Rolle eingehen, die Paul Lagarde in dieser Hinsicht sowohl auf globaler als auch auf europäischer Ebene gespielt hat. Die Schlussfolgerungen der Konferenz werden von Paul Lagarde selbst vorgetragen. Weitergehende Informationen und Anmeldung unter https://www.uvsq.fr/les-sources-internationales-du-droit-international-prive-paul-lagarde-et-la-legislation-internationale-et-europeenne